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„Jede Frau soll wissen, dass sie wertvoll für ihre Gesellschaft ist“
Lantana Bako Abdullahi wuchs im ländlichen Norden Nigerias auf, wo „Frauen nicht gesehen, geschweige denn gehört werden durften“. Das wollte sie nicht länger akzeptieren.
Für viele Frauen in Nigeria bedeutet die frühe Heirat das Ende des formalen Bildungswegs und verhindert, dass sie das Wissen und die Fähigkeiten entwickeln, die sie brauchen, um ihre Familien und Gemeinden aus der Armut zu befreien. Abdullahis Freundinnen heirateten im frühen Teenageralter, doch sie absolvierte stattdessen eine Ausbildung, erweiterte ihren Horizont und träumte von einem Leben jenseits der strikten gesellschaftlichen Erwartungen.
Mit der Zeit vertiefte sich Abdullahis Wunsch, ihren eigenen Weg zu gehen. Ihre Leidenschaft sollte sich zu ihrem Lebenswerk entwickeln: anderen zu helfen.
„Ich wusste, dass ich die Dinge anders angehen musste. Ich musste mir Ziele setzen und hart arbeiten, um in den vom Konflikt betroffenen Gemeinschaften in Nigeria etwas zu bewirken, insbesondere für Mädchen und Frauen.“
Ein Ziel, das sie erreicht hat und für das sie nun belohnt wurde. Am 8. Dezember erhielt Abdullahi als Würdigung ihres Engagements für Konfliktlösung und Frauenrechte im bevölkerungsreichsten Land Afrikas den Points of Light Award, eine Auszeichnung, die Freiwilligen aus dem britischen Commonwealth für ihre außerordentlichen Leistungen verliehen wird.
Lange Karriere für den Frieden
Für die Programmmanagerin und KAICIID Fellow ist es die Krönung einer langen Karriere in der Friedensförderung und des interreligiösen Dialogs in einer der am meisten vom Krieg gezeichneten Regionen der Welt.
Seit mehr als zwanzig Jahren beeinträchtigt ein ethnisch-religiöser Konflikt weite Teile des nigerianischen Nordens und Zentralgebiets. Er hat zehntausende Menschenleben gefordert und Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben.
Besonders heftig sind die Konflikte zwischen nomadischen und meist muslimischen Fulani-Hirten und christlichen Bauern um schnell verschwindendes Weideland. Berichte über Brutalität auf beiden Seiten häufen sich. Laut Abdullahi ist das eine Folge des tiefsitzenden Misstrauens, das auf lokaler Ebene herrscht.
„Die Menschen sind in ihren eigenen Dörfern, in ihren eigenen Häusern gefangen. Sie können nicht in die nächste Stadt reisen, weil deren Bevölkerung zur anderen Gruppe zählt. Kleine Kinder wachsen mit der Vorstellung auf, dass andere Glaubensrichtungen schlecht sind und dass diese Menschen ihrer Gemeinschaft Schlimmes angetan haben.“
Der Umgang mit diesen sozialen Spaltungen ist ein zentraler Punkt in Abdullahis Arbeit in der Konfliktmediation. Der Prozess wird von Männern dominiert, was auf das anhaltende Patriarchat in Nigeria zurückzuführen ist. Die Überwindung geschlechtsspezifischer Vorurteile war eine Herausforderung, so Abdullahi. „Ich wurde nie als gleichberechtigt mit einem Mann gesehen, nie so ernst genommen.“ Aber es war notwendig, um ihre Mission, den Bedürftigsten zu helfen, zu erreichen.
„Wir brauchen Frauen als Friedensstifterinnen, denn sie sind es, die am meisten von gewaltsamen Konflikten betroffen sind. Immer wieder höre ich die gleichen Geschichten von Frauen, die vergewaltigt werden, Frauen, die entführt werden, Frauen, die getötet werden, Frauen, die als Kriegswaffe dienen.“
Abdullahis Beobachtungen aus erster Hand decken sich mit statistischen Auswertungen. Über 30 Prozent der nigerianischen Frauen, die zwischen 2012 und 2013 befragt wurden, gaben an, dass sie irgendeine Form von geschlechtsspezifischer Gewalt erlebt haben. Diese Zahl steigt im unruhigen Nordosten des Landes auf fast zwei Drittel an.
Nach Angaben des Rates für äußere Beziehungen enthielten nur sechs Prozent der 1.860 Friedensabkommen, die zwischen 1990 und 2019 weltweit geschlossen wurden, Bestimmungen, die sich speziell auf Gewalt gegen Frauen bezogen.
Frauen als Friedensstifterinnen
Abdullahi betreut im Rahmen ihrer Arbeit als Konfliktmediatorin Mädchen und junge Frauen. Sie vermittelt ihnen Fähigkeiten und Selbstvertrauen, damit sie ihre Gemeinden in eine friedvolle Zukunft führen.
„Wenn wir in Nigeria die Jugend zu Diskussionsrunden einladen, sind oft nur junge Männer beteiligt. Also dachte ich: Wie können wir junge weibliche Aktivistinnen unterstützen? Wie können wir ihnen eine Stimme im Prozess der Friedenskonsolidierung geben?“
Da keine Plattform für Mädchen existierte, die sich für Konfliktlösung interessieren, beschloss Abdullahi, ihre eigene aufzubauen. So entstand die "Women for Positive Peacebuilding Initiative". Ihr Team bildet junge Menschen zu Führungskräften aus, lehrt ihnen interreligiösen Dialogs und gibt Sprechtrainings. Das alles passiert in der Überzeugung, dass echte Veränderungen von der Basis der Gesellschaft kommen müssen. Nach Abschluss des Trainings sollen die Teilnehmerinnen ihre eigenen lokalen Programme starten.
„Es ist erstaunlich zu sehen, wie diese jungen Mädchen in ihre Gemeinden gehen und zu Versammlungen aufrufen, Aktivitäten organisieren und Präsentationen darüber halten, welche Auswirkungen der Konflikt auf sie hatte.“
„Auf diese Weise werden sie in die Entscheidungsfindung an der Basis eingebunden und können helfen, die Botschaft der Menschenwürde zu verbreiten, die in allen Religionen zu finden ist.“
Diese Empowerment-Kampagne führte Abdullahi in den Nordosten Nigerias, eine gesetzlose Region, die vom blutigen Aufstand der Boko Haram gezeichnet ist. Dort engagierte sie sich in der Extremismusbekämpfung und versuchte, gegen den Ruhm der Kämpfer vorzugehen, die im Jahr 2014 durch die Entführung von 276 Schulmädchen weltweite Bekanntheit erlangten.
Vertrauen in Behörden stärken
„Viele Menschen schließen sich Boko Haram an, weil sie ein gewisses Maß an Menschenrechtsverletzungen erlebt haben. Wir wollten versuchen, dem entgegenzuwirken, indem wir direkt mit den Sicherheitskräften und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammenarbeiten, um diese Taten zu reduzieren. Gäbe es mehr Vertrauen in die Behörden, würden sich weniger Menschen extremistischen Gruppen anschließen, bin ich überzeugt.“
An dieser Front gibt es zweifelsohne noch einiges zu tun. Beschwerden über unrechtmäßige Verhaftungen und fehlende Gerichtsverfahren sind weit verbreitet. Währenddessen zeigt die grausame Offensive der Aufständischen kaum Anzeichen einer Verlangsamung. Erst letzte Woche sollen Militante bei dem angeblich schlimmsten Angriff gegen Zivilisten im Jahr 2020 zahlreiche Menschen getötet haben.
Doch Abdullahi ist der lebende Beweis dafür, was erreicht werden kann, wenn Widrigkeiten und historisch gewachsene Barrieren überwunden werden. Letztendlich, meint sie, sei dies ihre größte Errungenschaft - den jungen Frauen in Nord- und Zentralnigeria zu zeigen, dass alles möglich ist.
„Ich möchte, dass jede Frau, die benachteiligt ist, versteht, dass sie es schaffen kann. Sie kann ihre Träume verwirklichen und einen wertvollen Beitrag für ihre Gesellschaft leisten.“