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Fachleute diskutieren über die globale Flüchtlingskrise beim Europäischen Forum für politischen Dialog in Lissabon

21 Oktober 2021

Mehr als 130 hochrangige Politikerinnen und Politiker, religiöse Führerinnen und Führer, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Vertreterinnen und Vertreter prominenter Flüchtlingshilfsorganisationen kamen diese Woche in Lissabon und auch virtuell zusammen, um sich mit der globalen Flüchtlingskrise auseinanderzusetzen und eine inklusive Politik für die Integration in Europa zu gestalten.

Das jährliche Europäische Forum für politischen Dialog, das vom 19. bis 21. Oktober stattfindet, steht unter dem Motto „Förderung der sozialen Eingliederung und Verbesserung der Teilhabe von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten in den Aufnahmegesellschaften“. Gastgeber sind KAICIID, das von KAICIID unterstützte Netzwerk für Dialog (N4D) und der Europäische Rat für Religionsführer (ECRL).

Obwohl die europäische Gesellschaft von einer lebendigen ethnischen, nationalen und religiösen Vielfalt geprägt wird, werden Hassrede und Diskriminierung stetig mehr. Laut einer Gallup-Umfrage hat die Intoleranz gegenüber Migrantinnen und Migranten weltweit zugenommen, wobei einige der am wenigsten toleranten Länder in der Europäischen Union zu finden sind. Religiöse Führungspersönlichkeiten sind in einer guten Position, um Prozesse zu unterstützen, die die Solidarität stärken und den sozialen Zusammenhalt fördern. Allerdings fehlen ihnen oft die Plattformen, um politische Entscheidungsträgerinnen und -träger zu erreichen oder ihre Bemühungen zu verstärken.

In der Auftaktveranstaltung des Europäischen Forums für politischen Dialog zeigte sich KAICIID-Generalsekretär Faisal bin Muaammar erfreut über den Enthusiasmus von politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern, religiösen Führerinnen und Führern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, an dem Forum teilzunehmen, um Hindernisse für eine inklusive Integration zu beseitigen.

„Wir glauben, dass wir nur durch integrativen Dialog zusammenfinden können, um die Herausforderungen und Bedrohungen anzugehen, denen die Menschheit gegenübersteht. Dazu zählen Konflikte, der Klimawandel und die Coronavirus-Pandemie“, sagte bin Muaammar.

Diese globalen Bedrohungen haben weltweit fast 82,4 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben, fügte er hinzu. Leider sind viele von ihnen von den Aufnahmegemeinschaften nicht gerade herzlich aufgenommen worden. „Gemeinsame Bürgerschaft und sozialer Zusammenhalt müssen gestärkt werden, damit Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten zu vollwertigen Mitgliedern ihrer Aufnahmegemeinschaften werden können.

Bin Muaammar lobte Portugal als würdigen Austragungsort für das diesjährige Forum und wies darauf hin, dass das Land vom UNHCR als Vorreiter in Sachen Integration ausgezeichnet worden sei.

Cláudia Pereira, Staatssekretärin für Integration und Migration in Portugal, würdigte ebenfalls die einzigartige Vielfalt ihres Landes. „Portugal ist ein multireligiöses Land. Es ist die Heimat für Menschen aus 189 verschiedenen Nationen und sieben Prozent der Bevölkerung haben Migrationshintergrund“, erklärte sie.

Pedro Calado, stellvertretender Direktor des Präsidialamtes der Calouste Gulbenkian Stiftungen und ehemaliger Hochkommissar für Migration, sagte, dass gerade diese Vielfalt unzählige Möglichkeiten für eine erfolgreiche Integration biete und zu gegenseitigem Respekt und Verständnis beitrage. „Wir wissen, oder zumindest können wir leicht daran erinnert werden, dass wir ‚die Anderen‘ sind. In Zeiten wachsender Intoleranz, Polarisierung und Spaltung ist das ein Segen, unabhängig von der eigenen Religion oder Weltanschauung.“

Oberrabbiner Michael Schudrich räumte ein, dass religiöse Führerinnen und Führer oft zögern, sich zu politischen Fragen zu äußern. Sie sind daher im Migrationsdiskurs oft nicht präsent, obwohl sie in ihren eigenen Gemeinden an vorderster Front mit Integrationsfragen zu tun haben. Diese Herausforderung wurde in Schudrichs Heimatland Polen deutlich spürbar, wo in den letzten Wochen mehrere Flüchtlinge an der belarussischen Grenze starben, was einen Aufschrei der internationalen Gemeinschaft zur Folge hatte.

„Als Geistlicher, als Rabbiner, ist es auch meine Verantwortung, mich zu politischen Fragen zu äußern. Wir Geistliche haben keine andere Wahl, als uns zu humanitären Fragen zu äußern, denn dieses politische Problem hat eine humanitäre Krise ausgelöst.“

 

 



Soziale Teilhabe ermöglichen

Im Anschluss an die Plenarveranstaltungen des ersten Tages hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Möglichkeit, an einer Reihe von Fachdiskussionen mitzuwirken, die die Grundlagen für die Sitzungen in Arbeitsgruppen und die Erarbeitung von Empfehlungen am zweiten Tag lieferten. Zu den Themen gehörten die Stärkung der sozialen Teilhabe von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten in ihren lokalen Gemeinschaften durch Freiwilligenarbeit, die aktivere Beteiligung am politischen Leben und an demokratischen Prozessen sowie die Gewährleistung eines gleichberechtigten Zugangs zu formaler Bildung.

In der Arbeitsgruppe zur Bekämpfung von Hassrede durch interreligiösen und interkulturellen Dialog berichtete Irena Gudikova, Leiterin der Abteilung Inklusion und Antidiskriminierung beim Europarat, über ihre Erfahrungen mit Dialog auf lokaler Ebene.

„Wenn der interkulturelle Dialog in die Politik auf lokaler Ebene eingebettet ist, wird er wirklich effektiv und mobilisiert viele verschiedene Interessengruppen“, so Gudikova.

Sie wies auf zahlreiche Bereiche hin, in denen lokale Behörden und religiöse Führerinnen und Führer erheblichen Einfluss auf die inklusive Integration und die Bekämpfung von Hassrede und Diskriminierung in ihren Gemeinschaften haben können. Laut Gudikova können lokale Führungspersönlichkeiten für sicheren und gleichberechtigten Zugang zu Versammlungsräumen sorgen, in denen Zuwanderinnen und Zuwanderer Gottesdienste oder soziale Aktivitäten veranstalten können. Sie können kulturell und religiös gemischte Räume ermöglichen und geschulte Mediatorinnen und Mediatoren einsetzen, um gute Beziehungen in den Gemeinschaften zu fördern, bevor Spannungen zu Gewalt führen. Religiöse Führerinnen und Führer können mit ihren Gemeindemitgliedern über Vorurteile und Diskriminierung sprechen und Botschaften der Toleranz verkünden.

Miguel Ángel Moratinos, stellvertretender UN-Generalsekretär und Hoher Vertreter für die Allianz der Zivilisationen der Vereinten Nationen (UNAOC), stimmte auf dem Forum zu, dass politische Strategien und Maßnahmen der Schlüssel zu einem vielfältigen, friedlichen Europa sind. „Wir müssen politische Maßnahmen umsetzen, die Rassismus, Populismus und Ausgrenzung bekämpfen, und solche, die Vielfalt als ein Element der Bereicherung für uns alle etablieren.“

Moratinos erklärte, dass die Allianz der Zivilisationen Medienkompetenzprogramme und Schulungen für Journalistinnen und Journalisten entwickelt hat, „damit sie die Sprache verstehen, die bei der Berichterstattung über Flüchtlings- und Migrationsthemen verwendet wird und die dafür notwendige Sensibilität vermittelt bekommen“.

In den Arbeitsgruppen des zweiten Tages wurden die vier Themenbereiche des ersten Tages wieder aufgegriffen und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur Ausarbeitung konkreter Empfehlungen für die Beteiligung und die Stärkung marginalisierter Gruppen aufgefordert.

Die Ergebnisse dieser Sitzungen wurden in der Abschlussplenarsitzung vorgestellt. Zu den politischen Empfehlungen gehörten: die Sensibilisierung von Freiwilligen im Aufnahmeland, um den kulturellen und religiösen Bedürfnissen von Flüchtlingen gerecht zu werden; die Unterstützung des Kapazitätsaufbaus von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten im Bereich der politischen Partizipation; die Erfassung relevanter Migranten- und Flüchtlingsorganisationen in ganz Europa auf Ebene der Europäischen Kommission, um ihre politische Partizipation und Sichtbarkeit zu verbessern; die Sicherstellung, dass Flüchtlingskinder als gesetzliches Recht Zugang zu Bildung haben, ohne dass sie Papiere vorlegen müssen, einschließlich interkulturellem Unterricht für Schulpersonal; und die Sensibilisierung von religiösen Bildungseinrichtungen, um religiöse Führerinnen und Führer zur Bekämpfung von Hassrede zu befähigen.

Den Abschluss des Forums bildet am dritten Tag ein hochrangiger Dialog, der sich näher mit dem Thema Hassrede in Europa befassen wird.

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