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Alessandra Coppola: „Kurzfristige Maßnahmen zur Bekämpfung von Hassrede funktionieren nicht“
Alessandra Coppola ist Politikwissenschaftlerin, Vorstandsmitglied des No Hate Speech Network und stellvertretende Koordinatorin der nationalen Bewegung „No Hate Speech Movement“ in Italien. Die vom Europarat ins Leben gerufene Kampagne soll junge Menschen zur Bekämpfung von Hassrede und zur Förderung der Menschenrechte im Internet mobilisieren. Coppola ist außerdem Präsidentin von APICE, einer italienischen Jugend-NGO, die sich für die Förderung einer gemeinsamen europäischen Kultur einsetzt, indem sie Initiativen zur Sensibilisierung durchführt und die Grundwerte der EU und die Grundsätze des Europarats verbreitet und fördert.
Wie haben Sie sich für die Prävention von Hassrede eingesetzt?
Im Jahr 2014 habe ich an einem Seminar im Europäischen Jugendzentrum in Straßburg mit dem Titel „Inklusiver Einsatz im Internet für junge Menschen in Europa“ teilgenommen, das vom Europarat abgehalten wurde. Die Organisatoren stellten ihr „No Hate Speech Movement“ vor. Ursprünglich wurde die Kampagne als Reaktion auf das Massaker von Utøya [in Norwegen] ins Leben gerufen, bei dem junge Menschen [in einem Sommerlager] angegriffen wurden. In verschiedenen Mitgliedstaaten der EU wurden nationale Kampagnenkomitees ernannt – bestehend aus Regierungsstellen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und jungen Freiwilligen. Ich nahm Kontakt mit dem Koordinator für mein Heimatland Italien auf, um mich als Aktivistin anzuschließen.
Was ist das Ziel der Kampagne?
Die Kampagne bekämpft Hassrede, indem sie junge Menschen auf dem gesamten Kontinent sensibilisiert und mobilisiert, damit Hassrede als Verletzung der Menschenrechte anerkannt wird. Um auf Hassrede reagieren zu können, muss man ihre Weiterverbreitung verhindern. Bis zum Jahr 2017 haben wir 47 nationale Kampagnenkomitees in verschiedenen Ländern Europas und sogar in Mexiko und Tunesien gebildet.
Als die Kampagne ins Leben gerufen wurde, war es schwieriger, Hassrede im Internet zu melden. Sie kam aber auch viel seltener vor als heute. Wir entwickelten ein so genanntes „Hassrede-Überwachungssystem“, damit Aktivistinnen und Aktivisten Hassrede überall dort melden konnten, wo sie online verbreitet wurde. Wir überprüften Beiträge in den sozialen Medien manuell, buchstäblich einen nach dem anderen, und bewerteten sie in ihrem kulturellen und sprachlichen Kontext. Die Zahl der Hassrede-Beiträge explodierte jedoch und es war uns nicht möglich, auf diese Weise weiterzuarbeiten.
Später entwickelten wir den Ansatz der gegensätzlichen und alternativen Narrative, der jungen Menschen und Lehrkräften dabei hilft, hasserfüllte Beiträge im Internet zu entlarven, zu widerlegen und zu beseitigen.
Im Jahr 2017 endete die Kampagne unter der Schirmherrschaft des Europarates und wurde an die Mitgliedsstaaten „übergeben“. Nationale Kampagnen, Online-Aktivistinnen und -Aktivisten sowie Partnerorganisationen führen die Bewegung seitdem selbst weiter, der Europarat bietet weiterhin Unterstützung an.
In Italien habe ich mich mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten zusammengetan und mit der Unterstützung von APICE (Agenzia di Promozione Integrata per i Cittadini in Europa) alle Online-Inhalte ins Italienische übersetzt und die Kampagne auf eine eher lokale Ebene gebracht. Wir gingen an die Basis.
Wie erreichen Sie junge Menschen mit Ihrer Arbeit?
Auf zwei verschiedene Arten. Zum einen über die sozialen Medien. Im Jahr 2013 konzentrierten wir uns auf Facebook. Im Laufe der Jahre wurden wir auch auf Instagram und Twitter aktiv. TikTok steht bereits auf unserer „To-Do-Liste“. Wir haben uns auch auf die Welt des „E-Sports“ fokussiert, wo Hassrede und Mobbing besonders häufig vorkommen. Wir haben eine eigene offizielle Kampagnen-Website, um das Bewusstsein zu schärfen, und wir verwenden Memes, Videos und Infografiken, um das Engagement zu fördern und unser Publikum zu gewinnen.
Außerdem veranstalten wir „Aktionstage“ mit maßgeschneiderten Inhalten, die ein junges Publikum anziehen sollen.
Es ist wichtig zu erkennen, dass kurzfristige Maßnahmen zur Bekämpfung von Hassrede nicht funktionieren. Wenn Sie eine neue Generation junger Menschen aufbauen wollen, die für Hassrede sensibilisiert ist, die inklusive Sprache verwendet und die versteht, wie genau manipulative Sprache funktioniert, dann schaffen Sie eine Zivilgesellschaft, die letztlich in der Lage ist, Hassrede zu bekämpfen.
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Welche Form von Hassrede ist am weitesten verbreitet und wer ist die Hauptzielgruppe?
Unsere Analysen haben ergeben, dass die am stärksten von Hassrede betroffenen Gruppen je nach Region variieren und oft mit der kulturellen und politischen Situation eines Landes zusammenhängen.
Aktuell richtet sich Hassrede vor allem gegen LGBTQI-Personen und Frauen. Es gab eine Zeit, insbesondere während der Flüchtlingskrise im Jahr 2015, in der antimuslimische Hassrede stark zunahm. In letzter Zeit beobachten wir auch, dass antisemitische Äußerungen im Internet wieder zunehmen.
Wie hat sich COVID-19 auf Hassrede ausgewirkt?
Seit der Pandemie haben wir eine starke Polarisierung in der Gesellschaft beobachtet – eine Polarisierung, die Hassrede im Internet anheizt. Zu Beginn richtete sich Hassrede oft gegen jeden, der auch nur entfernt asiatisch oder chinesisch aussah. Später wurden Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten zur neuen Zielscheibe und wurden beschuldigt, Krankenhausbetten zu besetzen oder das Virus nach Europa zu bringen. Die Menschen fürchteten sich plötzlich vor einem „unbekannten“ und unsichtbaren Feind. Durch unsere Kampagne konnten wir einige der Stereotypen gegenüber bestimmten ethnischen Gruppen widerlegen.
Es gibt auch die vermeintliche Unterteilung in diejenigen, die „an die Wissenschaft glauben“, und andere, die an „verborgene Mächte“ glauben. Wir nehmen Stimmen gegen und für Impfstoffe wahr. Wir haben auch viel gegen die Verbreitung von Falschinformationen getan. Wir helfen den Menschen dabei, zu überprüfen, welche Nachrichten tatsächlich durch Quellen gestützt sind und welche nicht.
Was waren Ihrer Meinung nach die größten Erfolge der Kampagne?
Auf internationaler Ebene war das die Schaffung unserer Gemeinschaft, die so viele qualifizierte junge Aktivistinnen und Aktivisten hervorgebracht hat, die zu wichtigen Multiplikatoren geworden sind. Dann die Einrichtung des „No Hate Speech Network“, das vollständig von den jungen Aktivistinnen und Aktivisten selbst geleitet und verwaltet wird. Das ist sehr wertvoll, weil man die Denkweise der Menschen durch einen gemeinschaftlichen Ansatz verändern kann.
In gewisser Weise ist unser Erfolg auch das Ergebnis der Unterstützung, die wir weiterhin vom Europarat erhalten, nicht nur finanziell. Sondern auch die Tatsache, dass er uns eine Plattform auf höherer Ebene bietet und uns hilft, mit politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern in Kontakt zu treten. Dank dieser Unterstützung konnte ich zum Beispiel im Jahr 2019 an der KAICIID-Konferenz „Die Macht der Worte“ in Wien teilnehmen.
Was wird in Zukunft bei der Bekämpfung von Hassrede am wichtigsten sein?
Ein großes Problem ist, dass uns oft die Hände gebunden sind, da wir keine spezifischen Gesetze gegen Hassrede haben. Das macht es schwierig, das Problem anzugehen. In vielen Ländern fällt Hassrede nicht unter das Strafrecht. Der derzeitige Rechtsrahmen ist veraltet und wird den Bedürfnissen der heutigen Gesellschaft nicht mehr gerecht. Er muss den neuen Herausforderungen und den neuen Arten von Hassrede, die sich entwickelt haben, Rechnung tragen.
Zweitens ist es unglaublich wichtig, die Medienkompetenz von Erwachsenen, einschließlich Eltern, Lehrkräften und Ausbildern, und von Menschen, die keine „Digital Natives“ sind, zu fördern.
Ältere Menschen verstehen manchmal nicht, dass ihr Verhalten im Internet rechtliche Konsequenzen haben kann. Wir müssen auch Menschenrechtsbildung für Jugendliche sowohl in einem formalen als auch in einem nicht formalen Lernkontext anbieten.
Drittens kann das Thema der Internet Governance nicht länger ignoriert werden. Es wirkt sich auf den öffentlichen Diskurs aus und hat das Potenzial, Hass und Angst zu schüren. Dies wird schnell zu einem Nährboden für Extremismus und Radikalisierung.
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