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Die bedeutende Rolle des interreligiösen Dialogs in indigenen Gemeinschaften auf der ganzen Welt
Im Juli 2021 fanden kanadische Ureinwohner vom Stamm der Cowessess 751 nicht gekennzeichnete Gräber auf dem Gelände einer ehemaligen römisch-katholischen Internatsschule in der westlichen Provinz Saskatchewan.
Als Imam Irshad Osman aus Toronto die Nachricht hörte, wusste er, dass dies ein Moment der Aufarbeitung und des Reflektierens für das kanadische Volk sein würde.
Unabhängig von der Religion war Osman klar, dass dieser Fund die Bevölkerung des Landes mit der harten Realität des Kolonialismus und der Misshandlung indigener Völker damals und heute konfrontiert.
Osman machte sich bewusst, dass Musliminnen und Muslime „die Pflicht haben, Beziehungen zu den Ureinwohnern dieses Landes aufzubauen“. Er beschloss, eine einzigartige Initiative für den interreligiösen Dialog zwischen der muslimischen und indigenen Bevölkerung Kanadas zu starten. Durch diese Initiative haben sowohl die muslimischen als auch die indigenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht nur mehr übereinander gelernt, sondern auch über die wichtige und komplizierte Rolle, die der interreligiöse Dialog in den indigenen Gemeinschaften in Kanada und auf der ganzen Welt spielt.
Vertrauen zwischen den Kulturen schaffen
Unmittelbar nach den erschreckenden Enthüllungen in Saskatchewan berichtete Osman, ein KAICIID Fellow des Jahres 2021, dass kanadische muslimische Führer eine außerordentliche Solidaritätserklärung unterzeichneten und diese nach den Freitagspredigten in ihren Gemeinden vorlasen.
„Wir brachten unsere Unterstützung für die trauernden indigenen Gemeinschaften zum Ausdruck und verpflichteten uns, als Brüder und Schwestern der Menschlichkeit an ihrer Seite zu stehen und mit ihnen zusammenzuarbeiten, um Heilung, Gerechtigkeit und Frieden zu schaffen“, erklärt Imam Osman.
Doch er wusste, dass eine Erklärung nicht genug sein würde. Nachdem er im Rahmen des KAICIID Fellows-Programms in interreligiösem Dialog geschult worden war, wandte sich Osman an hohe Vertreterinnen und Vertreter beider Gruppen, um einen sechswöchigen Dialogprozess mit 25 muslimischen Jugendlichen einzuleiten. Unterstützt durch einen finanziellen Zuschuss von KAICIID im Rahmen des Fellows-Programms, umfasste das Projekt Schulungen, Besuche vor Ort und gemeinsame kleinere Aktivitäten.
Imam Osmans Wunsch war es, die muslimische Gemeinschaft mit den indigenen Völkern Kanadas in Kontakt zu bringen und ihre Beziehungen zu vertiefen. Das Ziel seines Projekts sei „echter Dialog“.
Einer der anspruchsvollsten, aber auch der konstruktivste Teil des Programms war eine Veranstaltung mit dem Titel „Erwartungen an muslimische Verbündete“ mit Janis Monture von den Six Nations of the Grand River, Mohawk Nation, Turtle Clan.
Nachdem Amos Key Jr. (Tae ho węhs, Six Nations of the Grand River, Mohawk Nation, Turtle Clan) in der Woche zuvor über indigene Überzeugungen und Werte berichtet hatte, zielte die von Monture geleitete Veranstaltung darauf ab, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ihrer Komfortzone zu locken.
„Das Ausbildung als KAICIID Fellow hat mir geholfen, über meine Grenzen hinauszugehen, mich nicht ganz wohl zu fühlen, aber produktiv zu sein“, so Osman.
„Ich wollte, dass die Jugendlichen eine ähnliche Erfahrung machen. Sie sollten über ihre Überzeugungen hinweg die sozialen Probleme und die Art und Weise, wie wir zur Marginalisierung indigener Völker beigetragen haben, betrachten“, erklärt der Iman.
Die Jugendlichen erfuhren mehr über kulturelle Aneignung, Arbeitslosigkeit und Selbstmordraten in den Reservaten der Ureinwohnerinnen und Ureinwohner.
„Beim Dialog geht es nicht um Vorurteile oder Vorstellungen über andere“, sagt Osman, „sondern offen in das Gespräch zu gehen und etwas über die Identität und Erfahrungen anderer Menschen zu lernen. So kann Vertrauen aufgebaut werden.“
Laut Osman ist Vertrauen entscheidend für den interreligiösen Dialog mit indigenen Gemeinschaften.
„Die Frage ist, warum wir indigene Führungspersönlichkeiten zwingen sollten, uns zu sagen, dass wir bestimmte Dinge tun sollen, oder von ihnen zu erwarten, dass sie bestimmte Dinge tun. Ohne Vertrauen können wir diese Annahmen nicht treffen. Wir können keine Erwartungen an sie stellen“, sagt Osman.
„Für die indigene Gemeinschaft sind Vertrauen und Beziehungen von größter Bedeutung. Dann kann man sehen, wohin das Gespräch führt.“
Intersektionelle Interessenvertretung in Brasilien
Pater Isaack Gaitani Mdindile ist ein katholischer Priester aus Tansania und KAICIID Fellow des Jahres 2021, der jetzt im Amazonas-Gebiet in Brasilien tätig ist. Für ihn haben diese Verbindungen und Gespräche zu Partnerschaften zwischen seinem Institut der Consolata Missionare und den Völkern der Wapichana, Waraos und Macuxi im Gebiet Amazonas-Roraima geführt.
„Sie alle kämpfen darum, ihre Religion und kulturelle Identität, ihren gemeinschaftlichen Lebensstil und ihre Sprache wiederzuerlangen, zu bewahren und zu praktizieren“, so Mdindile.
Mdindile wurden von KAICIID Fähigkeiten und Wissen vermittelt und finanzielle Zuschüsse gewährt, um solche Herausforderungen anzugehen und den sozialen Zusammenhalt durch Dialog zu stärken. Er bietet Workshops an und setzt sich zusammen mit Frauen aus den Stämmen für ihre Territorial- und Menschenrechte sowie für die der indigenen Völker in ganz Brasilien ein.
Laut Mdindile ist intersektionelle Interessenvertretung - zwischen indigenen Gemeinschaften und anderen bereitwilligen Partnern - unerlässlich, um einige wichtige Themen, von Klimagerechtigkeit bis zu interreligiöser Freiheit, zu behandeln.
„Wir glauben, dass gemeinsame Anstrengungen und nachhaltige Netzwerke zwischen politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern, Institutionen und Gemeindevorsteherinnen und -vorstehern notwendig sind, um die Komplexität der Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, anzugehen.“
Insbesondere indigene Stimmen müssen Teil der interreligiösen Bemühungen sein, den Klimawandel zu bewältigen, erklärt Mdindile.
„Indigene bewahren die Ansprüche der Natur und zeigen Ungerechtigkeiten ihr gegenüber auf. Sie sind daher in der Lage, die Natur vor den Auswüchsen der Zivilisation zu schützen.“
Mdindile führt weiter aus: „Ihre uralte Weisheit beruht auf dem gemeinsamen Wissen, dass tropische Regenwälder, Flüsse, Faunen und der gesamte Reichtum der biologischen Vielfalt ein Segen, ein wunderbares Geschenk und ein heiliges Vermächtnis sind.“
Die Arbeit birgt jedoch auch Herausforderungen. Angesichts der großen Entfernungen zwischen den Stämmen, der unzureichenden Infrastruktur, des Mangels an Ressourcen, der großen Unterschiede zwischen den indigenen Gemeinschaften und der relativ geringen Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist der zusätzliche Aufwand laut Mdindile die Erfolge der Arbeit aber wert.
„Der interreligiöse Dialog in indigenen Kontexten ist von grundlegender Bedeutung, weil er die einzige Plattform und Initiative ist, auf der indigene Menschen sichtbar sind. Dort werden ihr traditionelles Wissen und ihre territorialen Rechte ernst genommen und nicht romantisiert oder als Markenzeichen dargestellt.“
Indigene Völker in Indonesien hören und von ihnen lernen
Als Experte für religiöse Minderheiten in Indonesien und ehemaliger KAICIID Fellow weiß Dr. Amanah Nurish, dass die Stimmen indigener Völker von großer Bedeutung sind, wenn es darum geht, drängende Probleme, von Umweltgerechtigkeit bis hin zu Gewalt zwischen Gemeinschaften, zu lösen.
In den letzten zwei Jahren hat Nurish mit Unterstützung von KAICIID an einer Mentoring-Initiative mit indigenen Partnern gearbeitet, um nach Naturkatastrophen oder in Folge von Konflikten vor Ort Hilfe zu leisten, Spannungen abzubauen und reaktionärem Radikalismus entgegenzuwirken. Nurish ist davon überzeugt, dass indigene Völker der Schlüssel zu diesem Prozess sind. Jede Initiative mit interreligiösem Dialog profitiere von den Beiträgen der indigenen Völker, so Nurish.
„Der interreligiöse Dialog mit und zwischen indigenen Völkern stellt die Kommunikation zwischen verschiedenen Religionen, Glaubensrichtungen und Kulturen wieder her.“
„Wenn wir dies erkennen, können wir vielleicht die weltweiten Probleme wie religiöse Streitigkeiten verringern, die durch die Auswirkungen von Umweltzerstörung, ökologischen Krisen, globaler Erwärmung, Klimawandel und vielem mehr verursacht werden“, meint Nurish.
„Im Zeitalter der Globalisierung liegt es in unserer Verantwortung, auf die Nachhaltigkeit dieser traditionellen Gruppen und Ideen zu achten, denn sie sind oft diejenigen, die das Gleichgewicht stets aufrechterhalten“, sagt sie. Jedoch würden indigene Gemeinschaften allzu oft bei Veranstaltungen zu interreligiösem Dialog zugunsten größerer „Weltreligionen“ ignoriert.
Es wäre ein Fehler, diese Stimmen weiterhin zu ignorieren oder beiseite zu schieben, mahnt Nurish.
„Ich glaube, dass es entscheidend ist, interreligiösen Dialog im Kontext der indigenen Völker zu betrachten. Ihre Werte der Ortsverbundenheit beim Aufbau des Dialogs müssen als Vorbild für den Rest von uns anerkannt werden.“
Ohne dieses lokale, indigene Wissen, glaubt Nurish, wird es schwierig sein, globale Ziele - in Bezug auf Klimawandel, Hassrede oder religiöse Konflikte - erfolgreich in regionale Kontexte zu übertragen.
„Nicht alles, was global ist, lässt sich auf verschiedene Gemeinschaften und Länder übertragen“, erklärt Nurish. „Alle Menschen sollen die Qualitäten des lokalen Wissens im Einklang mit der Ideologie der indigenen Völker kennenlernen.“