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Hassrede bekämpfen, indem man Hass bekämpft: Wirksame Politik gegen Hassrede braucht interreligiösen und interkulturellen Dialog
Nayana Jayarajan ist stellvertretende Direktorin für Kommunikation bei KAICIID. Aktuell untersucht sie, wie Politikerinnen und Politiker, Staaten und Regierungen das einzigartige Potenzial von religiösen Akteurinnen und Akteuren nutzen können, um Herausforderungen wie Hassrede, extremistische Rhetorik und Gewalt anzugehen.
Hassrede ist weltweit auf dem Vormarsch, das Coronavirus trägt eine Mitschuld daran. Mit der Ausbreitung der Pandemie auf der ganzen Welt wurden jüdische, Ba'hai-, muslimische, Flüchtlings-, chinesische und asiatische sowie andere marginalisierte Gemeinschaften zur Zielscheibe von Verschwörungserzählungen, Stigmatisierung und Stereotypisierung. Menschen, die diesen und anderen Minderheitengruppen angehören, wurden auf verschiedene Weise beschuldigt, für das Virus verantwortlich zu sein, Krankheiten zu verbreiten, finanziellen Profit aus der Pandemie zu ziehen, mit ausländischen Gruppen zusammenzuarbeiten, um den Kampf der Gesellschaften gegen COVID-19 zu sabotieren, die Wirksamkeit von Impfkampagnen zu beeinträchtigen und mehr als ihren "gerechten Anteil" an medizinischen und anderen Ressourcen zu beziehen. Diese Fehlinformations- und Desinformationskampagnen wurden über soziale Medien wie Telegram, WhatsApp, Tiktok, Facebook und Twitter, in politischen Reden und Kundgebungen, Zeitungen und Fernsehsendungen und sogar in Predigten durchgeführt. Sie wurden benutzt, um Ausgrenzung, Diskriminierung, Belästigung und sogar Gewalt zu rechtfertigen.
Der Anstieg von Hassrede, die sich auf das Coronavirus bezieht, ist dramatisch und besorgniserregend. Aber das Virus ist eher ein Symptom als die Ursache für die allgemeine Zunahme von Hassrede weltweit. Europa ist dabei keine Ausnahme.
Überall in Europa berichten Angehörige von marginalisierten Gruppen, insbesondere von religiösen und ethnischen Minderheiten, über zunehmende Belästigungen und Hassrede, sowohl online als auch offline. Ein aktueller Bericht der Meldestelle für Antisemitismus der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) zeigt, dass die Zahl der gemeldeten antisemitischen Vorfälle im Jahr 2020 (585 Vorfälle, ein Anstieg von 6,4 Prozent) den höchsten jemals verzeichneten Wert darstellt. Ein ähnliches Bild zeigt sich in Deutschland, wo die Polizei 2.275 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund registrierte, ebenfalls der höchste Stand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2001. Rechtsextreme Gruppen und fremdenfeindliche Nationalisten stellen den Islam weiterhin als eine Religion dar, die mit Europa und den europäischen Werten unvereinbar sei. Antimuslimische Rhetorik macht muslimische Menschen, die ihren Glauben sichtbar praktizieren, besonders anfällig für verbale und andere Arten von Belästigungen. Dies gilt insbesondere für Frauen.
EIN UNKLARES PROBLEM
Es ist allgemein bekannt, dass Hassrede auf dem Vormarsch ist und bekämpft werden muss. Doch diese Einsicht gerät ins Wanken, wenn sich die Diskussion darum dreht, wie Hassrede bekämpft werden soll. Expertinnen und Experten sowie politische Institutionen sind sich einig: Hassrede ist ein komplexes gesellschaftliches Problem, das auf tieferliegende soziale Probleme hinweist. Es bedarf eines Zugangs mit mehreren Akteuren und Ebenen, der sowohl gesetzliche als auch soziale Instrumente umfasst.
Hassrede hat sich oft als schwierig zu definieren erwiesen, folglich auch als schwierig zu erfassen, zu überprüfen und zu regulieren. Das Wort "Hassrede" wirft tendenziell eine Vielzahl von Fragen auf. Was ist Hass? Ein Experte betont: Bedeutet das Wort "Hass" in "Hassrede", dass die Sprecherin oder der Sprecher durch Hass motiviert ist, oder dass sie/er beim Zuhörer oder Empfänger Hass hervorrufen will, oder dass sie/er will, dass der Empfänger sich gehasst fühlt? Welche Rolle spielt der Kontext bei der Definition von Hassrede? Ein Begriff oder eine Darstellung, die für eine Person oder Gruppe eine tiefe Beleidigung darstellen kann, wird von einer anderen Person oder Gruppe möglicherweise nicht als beleidigend empfunden. Beleidigende Begriffe werden oft im Laufe der Zeit harmlos, wobei auch das Gegenteil der Fall sein kann. Manchmal kann auch die Motivation des Sprechers relevant werden.
Im Allgemeinen sind sich die meisten Quellen einig: Hassrede muss auf eine bestimmte Gruppe oder ein Mitglied dieser Gruppe abzielen, um als solche zu gelten. Zum Beispiel würde die Aussage "Ich hasse dich" nicht als Hassrede gelten. Aber "Ich hasse dich wegen (deiner Identität)" würde Hassrede darstellen.
DIE HERAUSFORDERUNG DER GESETZGEBUNG
Damit Gesetze, die sich mit Hassrede befassen, durchsetzbar sind, müssen sie die Gruppen, die geschützt werden sollen, quantifizieren oder auflisten und die Motivationen und Kontexte beschreiben, die eine Aussage zu Hassrede machen. Aus diesem Grund variieren die rechtlichen Standards für strafbare Hassrede und der Grad des Schutzes, der den Opfern gewährt wird, von Land zu Land stark.
Gesetzliche Bemühungen zur Regulierung von Hassrede bergen auch das Risiko des Missbrauchs. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Regierungen Gesetze gegen Hassrede dazu nutzen, Journalistinnen und Journalisten oder sogar die Gruppen, die eigentlich geschützt werden sollen, zu diskriminieren.
Das prekäre Gleichgewicht zwischen dem Schutz des Einzelnen vor dem Schaden, der durch Hassrede verursacht wird, und dem Gebot in demokratischen Gesellschaften, die freie Meinungsäußerung zu schützen, ist eines, an dem Politikerinnen und Politiker in Europa und anderswo hart gearbeitet haben, um es durch eine Vielzahl rechtlicher und politischer Instrumente aufrechtzuerhalten.
Die andere Facette von Hassrede, die es schwierig macht, sie allein mit rechtlichen Mitteln zu bekämpfen, ist eine neuere Erscheinung. Ein Großteil von Hassrede, wenn auch bei weitem nicht alles, wird heute im Internet verfasst, propagiert und verbreitet. Das bedeutet, dass sich Akte von Hassrede über Grenzen hinweg ausbreiten, über verschiedene Kanäle mutieren und sich trotz aller Bemühungen, sie zu kontrollieren, vermehren können. Die Anonymität im Internet macht es schwierig, die Täterinnen und Täter zu identifizieren, geschweige denn sie vor Gericht zu bringen.
Online-Plattformen und Technologieunternehmen sind daher in der Position, Hassrede zu regulieren. In Ermangelung eines verbindlichen Rechtsrahmens fehlen ihnen aber oft die Ressourcen und die Motivation dazu. Facebook löscht jede Woche etwa 66.000 Einträge von Hassrede. Der "Verhaltenskodex zur Bekämpfung illegaler Hassreden im Internet" der Europäischen Kommission, eine freiwillige Richtlinie für Technologieunternehmen, ist ein vielversprechender Anfang. Doch er ist freiwillig und kann nur selbst durchgesetzt werden.
Viele dieser Faktoren - die unklare Definition von Hassrede, die Schwierigkeiten bei der Identifizierung und Klassifizierung, das Trauma und das Leid der Opfer und der sehr unterschiedliche Zugang zu staatlicher und zivilgesellschaftlicher Unterstützung in den europäischen Gesellschaften - bedeuten, dass Hassrede gegen religiöse und andere Minderheiten extrem schwierig zu verfolgen und systematisch zu überprüfen ist.
Ein gesetzlicher oder regulatorischer Ansatz kann daher nur die halbe Antwort auf die Frage sein, wie wir gegen Hassrede vorgehen können. Das Coronavirus hat gezeigt, dass sich Hassrede, ähnlich wie das Virus, schneller verändern und mutieren kann, als wir in der Lage sind, sie auszurotten.
Die einzige nachhaltige Lösung besteht daher darin, die Widerstandsfähigkeit von Gesellschaften gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz zu stärken. Dazu bedarf es eines integrativen Ansatzes, der die Vielfalt religiöser, weltanschaulicher, ethnischer und anderer identitätsbasierter Gemeinschaften fördert und berücksichtigt, egal wie klein sie zahlenmäßig sind.
Organisationen wie KAICIID arbeiten daran, rechtliche Rahmenwerke zur Verhinderung von Hassrede zu unterstützen und zu verbessern, indem sie die Ursachen des Phänomens angehen. Laut der OSZE gehören "Diskriminierung und Intoleranz zu den Faktoren, die Konflikte provozieren können, die die Sicherheit und Stabilität untergraben". Für KAICIID muss der interreligiöse und interkulturelle Dialog eine Schlüsselkomponente jeder wirksamen Strategie zur Bekämpfung von Hassrede sein. Dialog kann Gesellschaften einen sicheren Raum bieten, um das Bewusstsein für verschiedene Religions- und Glaubensgemeinschaften und ihre Menschenrechte zu schärfen, das Verständnis zwischen Menschen mit unterschiedlichem religiösen oder weltanschaulichen Hintergrund zu fördern, und den Respekt gegenüber verschiedenen Religions- und Glaubensgemeinschaften zu fördern
DIE UNTERSTÜTZENDE ROLLE DES DIALOGS
Interreligiöser und interkultureller Dialog kann es zum Beispiel Mitgliedern einer Gesellschaft ermöglichen, mehr über die Geschichte und Tradition religiöser Rituale und Kleidungsformen zu erfahren und diese dadurch bekannter und weniger bedrohlich zu machen. Der interreligiöse und interkulturelle Dialog kann auch einen sicheren Raum für die Diskussion über die Rechte und Pflichten verschiedener Gruppen innerhalb einer Gesellschaft bieten. Er kann auch dazu beitragen, dass Religionsgemeinschaften einander besser verstehen. Religiöse Gruppen sind oft Verursacher von Hassrede, auch wenn sie selbst Ziel davon sein können.
In einer kürzlich von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) durchgeführten Umfrage gaben beispielsweise 41 Prozent der Befragten zum Thema Antisemitismus an, dass die Belästigung, die sie erlebt haben, von jemandem mit extremistischen muslimischen Überzeugungen ausging. Interreligiöser und interkultureller Dialog kann Religionsgemeinschaften dabei helfen, internen Widerstand gegen Hassrede aufzubauen und Wege zu finden, Vorfälle von Hass zu erkennen, zu melden und zu entschärfen.
Interreligiöser und interkultureller Dialog kann auch Plattformen für die Mobilisierung Religionsgemeinschaften bieten, um für die Rechte anderer einzutreten. Das ist der Fall beim von KAICIID unterstützten European Muslim Jewish Leadership Council (MJLC), dessen Mitglieder gemeinsam gegen Islamophobie und Antisemitismus vorgehen. Ebenso bei der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIGA), die dabei hilft, Programme und Konzepte zu entwickeln, um multiethnische Schulen zu helfen, antijüdischen Stimmungen mit fundierten Argumenten zu begegnen.
KAICIID hält die Rolle von Führerinnen und Führern von Glaubensgemeinschaften bei der Prävention von Hassreden für wesentlich. Nach einer Vielzahl von Terroranschlägen in ganz Europa in den Jahren 2019 und 2020 hat Hassrede gegen religiöse Minderheiten dramatisch zugenommen. Hassrede kann zur Anstiftung zu Gewalt und Hassverbrechen führen, wodurch ein Teufelskreis aus Gewalt, Diskriminierung und Sündenbock-Denken entsteht, der nur schwer zu stoppen ist. Religiöse Führerinnen und Führer können als überragende Beispiele von Toleranz dienen, indem sie sich gegen Hassrede in ihren Gemeinden aussprechen, ihre Reichweite als Pädagogen und Würdenträger nutzen, um über die Bedeutung von Vielfalt und Inklusion zu predigen und durch ihre öffentliche Präsenz bei interreligiösen Initiativen Beispiele für interreligiöses Zusammenleben präsentieren.
Um effektiv zu sein, muss interreligiöser und interkultureller Dialog inklusiv, transparent, vertraulich und frei von Hintergedanken sein. Er muss auf jeder Ebene stattfinden, von der individuellen bis zur institutionellen. Er muss versuchen, so viele Bereiche der Gesellschaft wie möglich einzubeziehen. Er muss Regierungen und politische Entscheidungsträgerinnen und -träger erreichen und von politischer Unterstützung und Zustimmung profitieren. KAICIID ist bestrebt, mit transnationalen politischen Institutionen wie den Vereinten Nationen, der OSZE und deren Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte, dem Europarat, Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz sowie mit religiösen Institutionen, Religionsgemeinschaften und den Opfern von Hassrede zusammenzuarbeiten, um gemeinsame und nachhaltige Wege zu finden, die Ursachen von Hassrede zu bekämpfen.
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