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- „Jede Person, die stirbt, ist ein Bürger der Zentralafrikanischen Republik“
Der katholische Priester und KAICIID-Fellow Abt Kpefio beschreibt das Entsetzen nach dem Angriff auf eine Kirche am 1. Mai 2018 und den brüchigen Frieden in seinem Land.
Als der katholische Abt Ludovic Berthin Kpefio Mbana Passanguere 2010 sein Land, die Zentralafrikanische Republik verließ, um Islamische Studien in Mali zu studieren, waren viele von seiner Entscheidung überrascht. Er wollte sich dadurch ein objektives Wissen über den Islam aneignen und lernen, wie man einen interreligiösen Dialog führt. Er war der Überzeugung, dass Kenntnisse über die Anderen den Dialog unterstützen und helfen würden, Ängste und Missverständnisse zu vermeiden.
„(Die Menschen) konnten es nicht verstehen, da die Gemeinschaften friedlich nebeneinander existierten. Sobald jedoch 2013 Konflikte auftraten, wurde ich von beiden Seiten (Christen und Muslimen) gebeten, Präsentationen, Workshops und Konferenzen über den interreligiösen Dialog zu organisieren“, erinnert sich der 39-Jährige, der 2018 das afrikanische Fellows-Programm des KAICIID absolviert.
Abt Kpefio arbeitete in zwei Kirchen in PK5, der muslimischen Enklave von Bangui, die im Zentrum zahlreicher Angriffe des aktuellen Konflikts stand. 2008 und 2011 diente er als Pfarrer der Gemeinde Saint Mathias de Mulumba und zwischen 2011 und 2014 als Pfarrer der Gemeinde Saint Michel de Bazanga, gerade 800 Metern entfernt von Banguis zentraler Moschee.
Abt Kpefio (links) während eines Workshops in N'délé, im Nordosten der Zentralafrikanischen Republik (1,000 km von Bangui entfernt)
Er wurde 2011 zum Leiter der interreligiösen Dialogkommission der Erzdiözese von Bangui ernannt und leitet seither ein Team aus zwei Priestern, zwei Nonnen und zwei Laien, das Schulungen zu Themen über den Islam und den interreligiösen Dialog durchführt. Aktuell ist er zudem nationaler Direktor von Catholic Works Bangui, Direktor des Saint John XXIII Center, Sekretär der bischöflichen Kommission des Apostolats der Laity and National Chaplain of the Fraternity of Saint Joseph.
Abt Kpefio war am 1. Mai 2018 in der Fatima-Kirche, als durch einen Angriff 15 Menschen starben, darunter Priester Abt Albert Tungumale Baba, und viele andere verletzt wurden. Während sich Sorgen über eine neue Welle von Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik breitmachen, berichtet Abt Kpefio vom Entsetzen des Angriffs und spricht auch über die Hoffnung, was seine Mitbürger durch einen Dialog der Versöhnung erreichen können.
Welche Erinnerung haben Sie an den Angriff vom 1. Mai?
Ich ging in die Gemeinde von Fatima, um mit den Mitgliedern der Priesterbruderschaft Sankt Joseph die Erneuerung ihrer Gelübde und ihr Engagement als Mitglieder der Priesterbruderschaft zu feiern. Unter den etwa 3.0000 Anwesenden waren mehr als 400 Anwärter und über 2.000 weitere Teilnehmer.
Die Heilige Messe begann um 9:25 Uhr in aller Stille. Zwei Stunden später erschallten die Schüsse. Die christliche Gemeinde geriet sofort in Panik. Dann ergriff der Priester der Gemeinde das Mikrofon und rief zu Ruhe auf. Dies wirkte für einen Moment, doch die Schüsse fielen weiter. Aufgrund der Gegenwart von Terroristen hinter dem Zaun der Kirche bat ich den Hauptzelebranten, den Chor und die Heilige Messe abzubrechen, da wir in Lebensgefahr schwebten. Ich erhob mich und bat alle Priester, sofort den Altar zu verlassen. Wir beschlossen, die liturgischen Tänzerinnen vom Altar zu evakuieren. Es handelte sich hauptsächlich um Mädchen im Alter zwischen 6 und 10 Jahren. Sie verließen den Altar unter dem Kugelhagel, der auf den Altarraum der Gemeinde niederging. Dann gingen wir in das Büro des Vikars, um Sicherheitskräfte herbeizurufen.
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Bei einem Angriff auf die Fatima-Kirche in Bangui am 1. Mai, starben 15 Menschen und viele weitere wurden verletzt
Worin liegen die Gründe für diesen Angriff?
Die Terroristen hatten es direkt auf die katholische christliche Gemeinde während des Gebets abgesehen. Aus der zweistündigen Dauer des Angriffs, der Verwendung von Handfeuerwaffen, schweren Waffen und Granaten ist ersichtlich, dass der Angriff penibel geplant war. Die ausdrückliche Absicht dieser Terroristen war es, so viele Menschen wie möglich in den Tod zu reißen. Als ob dies nicht genug wäre, waren einige Terroristen sogar auf die Mangobäume außerhalb des Zauns geklettert, um Gläubige zu ermorden.
Es waren zwei Stunden des Terrors, ein Blutbad und reines Abschlachten. Kugeln pfiffen aus allen Richtungen und Frauen und kleine Mädchen fielen vor Angst in Ohnmacht. Es war eine Gräueltat. Explodierende Granaten rissen beide Beine einer Frau weg, die gerade Ihr Kind stillte und zerfetzten und töteten drei weitere Menschen. Eine Frau mit Behinderung wurde in ihrem rechten Bein von einer Kugel getroffen und konnte sich nicht bewegen. Als Abt Albert Tungumale Baba ihr zu Hilfe eilte, wurde er selbst getroffen und getötet. Menschen flohen in alle Richtungen. Es war der reine Wahnsinn.
Aber Gott rettete viele Menschenleben und inspirierte junge Menschen umgehend, die Wand auf der Seite des Zauns zu durchbrechen und zahlreiche Menschen zu evakuieren, darunter viele, die schwer verwundet waren.
Vor vier Jahren wurde die Kirche schon einmal angegriffen und ein Priester war unter den 18 Getöteten. Warum wurde diese Kirche wiederholt angegriffen?
Es ist wichtig klarzustellen, dass es sich um zwei völlig entgegengesetzte Zusammenhänge handelt. Im Mai 2014 wurden Personen angegriffen, die im Land ihre Heimat verloren und auf dem Vorplatz der Fatima-Kirche Zuflucht gesucht hatten. Am 1. Mai 2018 hingegen galt der Angriff der katholisch christlichen Gemeinde und insbesondere den Mitgliedern der Erzdiözese der Priesterbruderschaft des Heiligen Josef von Bangui, von denen einige ihre Gelübde erneuerten. Der Ort und die Täter des Blutbades waren die gleichen, aber die Opfer und die Umstände sind unterschiedlich.
2014 ging Pater Emile Nzale gerade vorbei, als der Angriff begann, und er fand Schutz im Hof der Gemeinde. Die Angreifer kamen auf den Gemeindeplatz, um Menschen zu töten, und da er bereits älter war und nicht mehr flüchten oder über die Ummauerung klettern konnte, wurde er wie die anderen Opfer von einer Kugel getötet. Dieses Mal war Abt Albert Tungumale Baba, Priester der Saint Mathias Kirche in KM5 anwesend, um an der gemeinsamen Eucharistiefeier und an den Zeremonien für die Gelübde von Saint Joseph teilzunehmen, wo er früher Kaplan war. Als die Terroristen kamen, gingen sie nicht auf den Kirchplatz, sondern schossen aus der Ferne auf uns und töteten viele Menschen.
Wie ist die aktuelle Situation in der Gemeinde?
Obwohl die Kirche zerstört ist, werden immer noch Gottesdienste abgehalten und Kardinal Nzapalainga hat die Priester ermutigt, ihre pastoralen Aktivitäten in diesen schwierigen Zeiten fortzusetzen.
Die derzeitige Situation ist schwierig, da die Priester noch immer den psychologischen Schock und das Trauma dieser tragischen Ereignisse verarbeiten. Es gibt schwere Schäden an der Infrastruktur und für die Reparatur sind riesige Summen (Geld) erforderlich. Die Priester halten noch immer Gottesdienste ab, obwohl die Situation um die Kirche aufgrund der Massenvertreibung unter der Zivilbevölkerung in anderen Nachbargemeinden gespannt und bedrohlich ist.
Kardinal Dieudonné (Nzapalainga) besucht die Gemeinde häufiger, um die Priester darin zu bestärken, ihre seelsorgerischen Aktivitäten in dieser schwierigen Zeit fortzusetzen. Er motiviert sie, die Laien zu trösten und die Wunden der Vergangenheit zu heilen, damit sie dieses Elend überwinden können. Dies ist ein Beleg für das Heldentum von Pastoren, die bei ihren Gemeinden bleiben und diese mit ihrer Gegenwart und geistlichen Betreuung in Notzeiten unterstützen.
Medien berichteten, dass der Angriff Gewalt gegen Moscheen ausgelöst hat. Welche Botschaft wurde der Pfarrgemeinde nach dem Angriff vermittelt? Papst Franziskus rief dazu aus „sich von Gewalt und Rache loszusagen, um Frieden zu stiften“, aber wie ist es möglich, Rache zu verhindern?
Sobald die Menschen erfuhren, dass die Fatima-Kirche von Terroristen angegriffen und viele Menschen einschließlich Abt Albert Tungumale Baba getötet wurden, reagierte die Menge mit Zorn. Sie beschädigte die Ngaragba Moschee im 7. Distrikt von Bangui und warf das Baumaterial für die Lakouanga Moschee im 2. Distrikt von Bangui in den Fluss.
Doch die Apelle und Mahnungen von Kardinal Dieudonné nach Zurückhaltung und Besonnenheit wurden von den Menschen der christlichen Gemeinde erhört. Allerdings bleibt die Lage in den Bezirken und Vierteln des 3. und 5. Distrikts gespannt.
Doch das Ziel aller Religionen ist es, zum sozialen Zusammenhalt und einer friedlichen Koexistenz beizutragen und diese zu stärken. Dies ist eine entscheidende Zeit. Im Moment hat die Mehrheit der Einwohner der Zentralafrikanischen Republik den Weg des Friedens akzeptiert und gewählt. Ihre Entscheidung hat wesentlich zur Wahrung des Friedens und dem Ende der Gewalt beigetragen. Doch die Ereignisse von 1. Mai 2018 haben die Bevölkerung beunruhigt. Wir, die Würdenträger religiöser Gemeinden, müssen unsere Mitgläubigen aufrufen, sich vom Geist der Gewalt und der Rache zu distanzieren. Nur das Zusammenleben in Gemeinden kann uns Frieden bringen. Dementsprechend müssen Botschaften für den Frieden, die Toleranz, friedliche Koexistenz und Vergebung über unsere religiösen Radiosender, Homilien, Predigten und Gebete übermittelt werden.
Wir sind dazu bestimmt zusammenzuleben, besitzen ein gemeinsames Schicksal und dürfen keine andere Gemeinde unterdrücken, ausschließen oder beseitigen. Wir können unser Land gemeinsam aufbauen – Hand in Hand.
Abt Albert Tungumale Babawar der zweite Priester, der innerhalb eines Monats während eines geplanten Kirchenangriffs getötet wurde. Wie lautet Ihre Nachricht an die Täter? Wie lautet Ihre Nachricht an die Familien der Opfer?
Es ist eine schwere Sünde, einen Priester zu töten, da er eine Brücke zwischen Menschen und Gott bildet. Ein Priester erreicht alle Männer und Frauen ohne Unterscheidung, und bietet ihnen humane, soziale und geistliche Hilfe, um sie bei der Lösung ihrer Probleme zu unterstützten. Ein Priester ist der Freund aller. Er ist unvoreingenommen.
Das menschliche Leben ist heilig. Dies ist in den Präambeln zahlreicher Verfassungen und Gesetze festgeschrieben. Darüber hinaus verbieten uns die Bibel und der Koran, einen unserer Gefährten zu töten. Es ist zwingend erforderlich, dass wir dieses Blutvergießen beenden. Die Gerechtigkeit Gottes ist unerbittlich. Es wird Zeit, den Pfad der Verdammnis zu verlassen und den Pfad des Lebens einzuschlagen, der aus Liebe, Toleranz, Frieden, Zusammenleben, Freude, Nächstenliebe und Einvernehmen besteht.
Mein tiefes Mitgefühl gehört den Familien der Opfer. Der Herr wird ihre Tränen trocknen und ihre tiefen Wunden heilen. Rache wird lediglich zu weiteren Toten führen und eine neue Spirale der Gewalt in Gang setzen. Es ist eine schwere Zeit, schwer zu verdauen und darüber hinwegzukommen, aber der Herr wird helfen.
Welche Erfahrungen konnten Sie während Ihrer Arbeit in Gemeinden in KM5 sammeln?
Nachdem er zweimal in KM5, der muslimischen Enklave von Bangui, gearbeitet hatte, wurde Abt Kpefio zum Leiter der interreligiösen Dialogkommission der Erzdiözese Bangui ernannt. Er ist auch Direktor des St. John XXIII Centre, zu dem die St. Isidor Bakandja Kirche gehört (auf dem Foto abgebildet)
Ich habe zweimal in KM5 gedient. Zunächst in der Gemeinde Saint Mathias Mulumba, dann in Saint Michel Bazanga. Ich hatte hervorragende Beziehungen zu jungen Muslimen und mit der Nachbarschaft. Sie wollten wissen, welchen seelsorgerischen Aktivitäten ich tagsüber nachging und ich wollte mehr über ihr Leben und ihre Aktivitäten wissen, insbesondere den religiösen wie beispielsweise den Reden des Imams während der Freitagsgebete. Wir hatten einen sehr interessanten Austausch. Als ich in eine andere Gemeinde versetzt wurde, waren viele junge Muslime entmutigt und einige weinten sogar. Ich kam jedoch zurück und besuchte sie, und wir erlebten sehr glückliche Zeiten.
Die beiden Kirchen wurden während der Geschehnisse von 2014 und 2015 niedergebrannt. Sie wurden in Viertel in der Nähe von KM5 verlegt und feiern weiterhin Messen und andere Gottesdienste.
Warum ist der interreligiöse Dialog Ihrer Meinung nach in Ihrem Land so wichtig?
Der interreligiöse Dialog ist in unserem Land wichtig, weil wir uns an einem entscheidenden Punkt nach dem Terrorangriff auf die Fatima-Kirche befinden. Wenn wir jetzt nichts unternehmen, wird die Zahl der Toten weiter steigen. Es ist dringlich und unerlässlich, Maßnahmen zu ergreifen, indem wir das Bewusstsein über das Radio sensibilisieren und die Wahrung des Friedens mithilfe von Botschaften über Friede, Liebe und Gewaltfreiheit fördern, um Herzen und Seelen zu erweichen.
Zweitens ist es unabdinglich, dass sich religiöse Würdenträger (Muslime, Protestanten und Katholiken) an einen Tisch setzen, um Sensibilisierungskampagnen auszuarbeiten und mit einer Stimme zu sprechen: Wir möchten ein friedliches Zusammenleben zwischen allen Gemeinden.
Lasst uns jedes Gefühl von Rache und Hass unterbinden, das die Gefahr birgt, dass wir wieder in Gewalt versinken, die keinem von uns nützt. Weil jeder Mensch, der stirbt, ein Bürger Zentralafrikas ist, und das Land jeden für seine soziale, humane, kulturelle und wirtschaftliche Erholung benötigt. Vielfalt ist ein Gut für unsere Bevölkerung und bleibt ein bedeutsamer Faktor für unser friedliches Zusammenleben.
Zuletzt müssen wir Workshops, Diskussionsrunden, Schulungen und Veranstaltungen zum Thema interreligiöser Dialog organisieren und alle religiösen Gemeinden einladen (um mitzuwirken). Wir dürfen religiöse, öffentliche und private Radiosender nicht vergessen, damit die Botschaft die gesamte Bevölkerung erreichen kann.
Als Teil des KAICIID Fellows Programms hat Abt Kpefio ein Projekt entwickelt, um katholische, muslimische und protestantische Würdenträger im interreligiösen Dialog zu schulen. Er möchte den interreligiösen Dialog fördern, um Botschafter für den sozialen Zusammenhang zu formen, aber auch, um den ständigen Rahmen für den interreligiösen Dialog im Land zu stärken. Das Projekt zielt darauf ab, eine Brücke des Friedens und der Versöhnung zwischen den christlichen und den muslimischen Gemeinden zu bauen und das Misstrauen zwischen den beiden zu verringern. Zusätzlich zu den Schulungen, die Ende Juni stattfinden werden, und der Arbeit mit den einzelnen Teilnehmern, wird seine Botschaft über religiöse und etablierte lokale Radiosender verbreitet werden.