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„Human Voices“: Persönliche Geschichten zur Förderung der Integration und der Empathie für Flüchtlinge in Europa
WENN DU NEIN SAGST, KOMMST DU HIER NICHT MEHR RAUS.“
Mit diesen zehn hasserfüllten Worten änderte sich Sofias Leben für immer. Der Mann, der zu ihr sprach, war der Mann, den sie bald zu heiraten gezwungen sein würde. Er machte Sofias Träume von einem Studium und einer Karriere schnell zunichte. Er zwang sie zu einem Leben als Hausangestellte. Gegen ihren Willen zog er mit der Familie von Asien nach Portugal, wodurch sie noch isolierter und anfälliger für seine ständigen Schikanen und Nötigungen wurde. Als Sofias älteste Tochter in die Pubertät kam und selbst zur Zielscheibe des Missbrauchs wurde, wusste sie, dass sie handeln musste.
„Wir wagten den Schritt ins Ungewisse. Ich wusste nicht einmal, ob ich der Hilfsorganisation vertrauen konnte. Es war die Stärke meiner Tochter, die uns durchgebracht hat.“
Mit ihren zwei Kindern lebte Sofia zunächst in einem Frauenhaus, bis sie Unterstützung von MEERU | Abrir Caminho bekam, einer in Porto ansässigen humanitären Organisation, die mit Migrantinnen, Migranten und Flüchtlingen arbeitet. In den letzten drei Jahren hat MEERU Sofia dabei geholfen, sich an ein unabhängiges Leben zu gewöhnen, sich um Jobs zu bewerben und vor allem ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen. Die Geschichte gehört zusammen mit fünf anderen zu „Human Voices“, einer kürzlich erschienenen Sammlung von Erzählungen von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten in Portugal und Serbien.“
DIE ANGST VOR DEM UNBEKANNTEN ÜBERWINDEN
Migration ist eines der kontroversesten Themen der heutigen Zeit, das regelmäßig hitzige Debatten und gewaltsame Zusammenstöße auslöst. Politische Agenden prägen oft das Bild von Migranten und Flüchtlingen und stellen sie auf der Grundlage unzureichender oder verzerrter Informationen in einem negativen Licht dar. Die Medienberichterstattung verschärft dies noch, indem sie Migranten auf Statistiken reduziert und ihre individuellen Erfahrungen außer Acht lässt, um umfassendere Entwicklungen darzustellen.
In einer Zeit, in der die Gewalt gegen die Flüchtlingsgruppen in Europa zunimmt, einschließlich der Gewalt gegen Kinder, ist es dringend notwendig, die persönlichen Geschichten von Migrantinnen und Migranten zu beleuchten und sie als Menschen und nicht als Zahlen darzustellen. Dies ist die treibende Kraft hinter „Human Voices“, einer gemeinsamen Initiative von MEERU | Abrir Caminho und Adventist Development and Relief Agency (ADRA) Serbien – zwei Mitgliedern des Netzwerks für Dialog, einer von KAICIID unterstützten Plattform zur Förderung des Dialogs und der Integration von Migranten und Flüchtlingen in Europa.
„Was man am häufigsten von der lokalen Bevölkerung hört, ist die unbegründete Angst, dass Flüchtlinge Arbeitsplätze wegnehmen oder versuchen werden, die Lebensweise einer Gemeinschaft negativ zu verändern“, erklärt Maja Marković, Rechtsberaterin bei ADRA. „Diese Ängste rühren von verinnerlichten Vorurteilen gegenüber anderen Kulturen, Nationalitäten und Religionen her, die im Grunde von der Angst vor dem Unbekannten getrieben werden.“
„Human Voices“ will die Stereotypen und Vorurteile, die Fremdenfeindlichkeit und Feindseligkeit gegenüber Migranten und Flüchtlingen schüren, widerlegen, indem es ihre persönlichen Erzählungen und Erfahrungen wiedergibt. Durch diese Geschichten erfahren die Leserinnen und Leser mehr über die universellen Werte und Ziele, die alle Menschen verbinden: Liebe, Widerstandskraft, Freundschaft und Vertrauen.
EIN INSTRUMENTARIUM FÜR DIE INTEGRATION
Die Initiative „Human Voices“ dient als wertvolles Instrument zur Förderung des Dialogs und des sozialen Zusammenhalts angesichts der zunehmenden Gewalt und Diskriminierung von Flüchtlingsgruppen in Europa. Am Ende jeder Geschichte gibt es eine Reihe von Denkanstößen, die die Leserin und den Leser dazu einladen, über die tiefere Bedeutung der Erzählung nachzudenken und zu diskutieren.
„Der Ratgeber richtet sich nicht speziell an Integrations- oder Migrationsfachleute, sondern an alle, die einen neuen Menschen in ihrer Gemeinschaft willkommen heißen“, sagt Isabel Tootill, Mitbegründerin von MEERU | Abrir Caminho. „In diesem Zusammenhang bedeutet 'Gemeinschaft' nicht nur die lokale Bevölkerung, sondern auch eine Schule, eine Jugendgruppe oder sogar eine Familie.“
Das Human Voices Instrumentarium kann auf verschiedene Weise eingesetzt werden, um die Integration zu fördern und ein freundliches Umfeld in Gemeinschaften zu schaffen. Wenn man die Publikation zum Beispiel neu angekommenen Flüchtlingen zur Verfügung stellt, kann man ihnen helfen, sich mit den Erfahrungen anderer, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, auseinanderzusetzen. Dies kann ihnen als Ausgangspunkt und Leitfaden dienen, um ihre eigene Geschichte zu erzählen – ein unglaublich ermutigendes Unterfangen. Gleichzeitig wird ihnen die Integration erleichtert, indem konkrete Ratschläge für das Leben in einem neuen Land gegeben werden.
Darüber hinaus kann die Publikation verwendet werden, um Menschen aus lokalen Gemeinschaften für die Herausforderungen zu sensibilisieren, mit denen Flüchtlinge konfrontiert sind, wenn sie ihr Heimatland verlassen. Durch den Austausch persönlicher Geschichten und emotionaler Erlebnisse will „Human Voices“ ein Forum schaffen, das Menschen miteinander verbindet und Empathie fördert, um letztlich angenehmere Rahmenbedingungen für alle zu schaffen.
„Human Voices ist ein erstaunliches Projekt, das in drei Sprachen verfügbar ist und beweist, dass die Kraft des Geschichtenerzählens eines der wichtigsten Instrumente zur Überwindung von Vorurteilen ist“, sagt Aleksandra Djuric Milovanovic, Koordinatorin des Netzwerks für Dialog. „Das Projekt stellt Lebensgeschichten vor, die auf der ganzen Welt Gemeinsamkeiten haben. Es zeigt auch die Hindernisse und Herausforderungen, mit denen Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten in ihren Aufnahmeländern konfrontiert sind.“
INSPIRIERENDE MENSCHLICHE GESCHICHTEN
Eine wesentliche Stärke von „Human Voices“ ist die Vielfalt der Erfahrungen und Hintergründe, die darin vorgestellt werden. Neben Sofias Geschichte enthält die Publikation fünf weitere inspirierende und aufschlussreiche Berichte über das Leben als Zuwanderer in Europa.
Ghufrans frühe Jahre im ländlichen Syrien waren glücklich. Als sie 12 Jahre alt war, wurde ihre Kindheit jedoch durch den Ausbruch des Krieges zerstört. Daraufhin musste sie mit ihrer Familie aus Syrien fliehen. Nach sechs Jahren in der Türkei bot die portugiesische Regierung an, die Familie umzusiedeln. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten lebten sie sich in ihrer neuen Heimat ein. Ghufran ist inzwischen verheiratet, hat Kinder und will studieren.
Déos traumatische Kindheit, die von Missbrauch und Vernachlässigung geprägt war, brachte ihn dazu, für einen Ausweg zu beten. Sein Weg führte ihn in die Obdachlosigkeit, zum Verlust des Arbeitsplatzes und beinahe zum Selbstmord, bis er schließlich im Gebet Hoffnung fand. Er heiratete, gründete eine Familie und baute eine erfolgreiche Existenz auf. Später musste er jedoch fliehen, nachdem er sich geweigert hatte, während einer Wahlkampagne Propaganda zu verbreiten. Das Leben als Flüchtling war schwierig für Déo, aber er kämpft weiter für eine bessere Zukunft.
Sarahs Kindheitsträume, Flugbegleiterin oder Kosmetikerin zu werden, zerschlugen sich, als sie mit ihren beiden Töchtern und ihrem ungeborenen Kind aus dem Kongo fliehen musste. Ihr Mann war Mitglied einer politischen Gruppe, wodurch ihr Leben in Gefahr geriet. Sarah und ihre Familie machten sich auf den Weg nach Angola und dann nach Portugal, wo sie Asyl erhielten. Der Neuanfang war für Sarah nicht leicht, aber sie bekam schließlich Unterstützung und fand Freundinnen und Freunde in der Stadt Braga, wo sie heute mit ihren Kindern lebt.
Eric war Englischlehrer und Schulleiter in einem afrikanischen Land. Die Regierungspartei beschuldigte ihn zu Unrecht der Fälschung und des Betrugs und drohte ihm, ihn zu inhaftieren. Er flüchtete und versteckte sich, bis er nach Europa gelangen konnte. Er musste seine Familie zurücklassen. Jetzt lebt er in einem Flüchtlingslager und hofft auf Asyl und einen Job, um seine Familie zu unterstützen. Er träumt von einer besseren Zukunft und ermutigt andere Flüchtlinge, ein neues Leben zu beginnen.
Buš und seine Familie verließen Serbien im Jahr 2016 in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Deutschland. Ihr Asylantrag wurde jedoch abgelehnt und sie mussten nach Serbien zurückkehren. Buš arbeitete hart in schlecht bezahlten Jobs und baute ein Haus für seine Familie. Seine Kinder hatten Probleme mit der Sprache und der Schule. Sie versuchten es erneut in Österreich, aber auch von dort wurden sie wieder zurückgeschickt. Buš versucht immer noch, über die Runden zu kommen und seinen Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen.
Die Veröffentlichung des Buches „Human Voices“ wurde im Rahmen des von KAICIID unterstützten Förderprogramms des Netzwerks für den Dialog gefördert. Die kleinen finanziellen Zuschüsse des Netzwerks für Dialog ermutigen und unterstützen seine Mitglieder bei der Durchführung von Projekten in zwei verschiedenen Ländern in Europa. „Diese Projekte dienen als Plattform für die Zusammenarbeit zwischen Mitgliedern, die an der Basis mit Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten arbeiten, aber auch zur Förderung des interreligiösen und interkulturellen Dialogs in ihren Gemeinden. Während der Laufzeit bietet KAICIID Unterstützung und Beratung bei der Umsetzung der Projekte an“, erklärt Aleksandra Djuric Milovanovic, Koordinatorin des Netzwerks für Dialog.