- Unsere Geschichten
- Features
- Glaubensgemeinschaften treten gemeinsam gegen ethnische Diskriminierung und Ungleichheit auf
Glaubensgemeinschaften treten gemeinsam gegen ethnische Diskriminierung und Ungleichheit auf
Uzair Ben Ebrahim, der sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt, war Mitglied der Studierendenvertretung an der Universität von Kapstadt, als der „Rhodes Must Fall“-Protest im Jahr 2015 weltweit Schlagzeilen machte.
Heute ist der 28-jährige KAICIID Fellow Lehrer für Englisch und Religionswissenschaften. Er gehörte zu jenen jungen Menschen in Südafrika, die eine Petition einreichten, um die Statue des britischen Kolonialisten Cecil Rhodes aus dem 19. Jahrhundert von ihrem Universitätscampus entfernen zu lassen.
Die Bronzeskulptur, die das Ende der Apartheid überlebt hatte, wurde von den Studierenden als Symbol für das Privileg der Weißen und eine Erinnerung an Südafrikas spaltendes Erbe des Kolonialismus wahrgenommen.
„Damals waren wir gezwungen, noch einmal über dieses Thema zu reden. Das soll nicht heißen, dass wir das nicht schon zuvor gemacht hätten“, erzählt Ben Ebrahim. „Wir hatten es getan, aber es war nicht auf diesem Niveau.“
In den letzten Monaten hat Ben Ebrahim ähnliche Debatten und Unruhen aufgrund von systemischem Rassismus genau verfolgt – und zwar in den Vereinigten Staaten.
„Es ist eine interessante Sache für mich zu erforschen, wie bei der Bewegung Black Lives Matter über soziale Gerechtigkeit und Minderheitenfragen in bestimmten Kontexten gesprochen wird, denn ich finde mich in meinem speziellen Kontext auch als Minderheit wieder“, berichtet er.
Zu Ben Ebrahims vielfältiger Herkunft gehören Vorfahren aus Indonesien, Malaysia und Indien. Er ist auch Teil einer muslimischen Minderheit in seiner Heimat Südafrika.
„Ich überlege, was es für mich bedeutet, zu einem bestimmten Kontext dazuzugehören. Ich weiß, dass es mein Volk war, das den Islam nach Südafrika gebracht hat, und dass ich Muslim in einer überwiegend christlichen Gesellschaft bin.“
Systemischem Rassismus in religiösen Organisationen thematisieren
Ben Ebrahim ist Mitglied mehrerer bekannter interreligiöser Organisationen, darunter United Religions Initiative (URI), die Cape Town Interfaith Initiative und die Muslim Jewish Interfaith Coalition. Er hat seine interreligiösen Netzwerke genutzt, um sich gemeinsam für Gerechtigkeit für alle Menschen einzusetzen und Diskussionen über Ungleichheit zu führen.
Er räumt ein, dass er oft damit kämpft, das Thema Rassismus auf die Tagesordnung von Konferenzen und Treffen zu setzen. „Dieses Thema sieht man normalerweise innerhalb religiöser oder interreligiöser Organisationen nicht. Ich denke, es steckt ein Motiv dahinter. Viele religiöse oder interreligiöse Organisationen werden auf der Grundlage dessen gegründet, was ich die ‚flauschigen Dinge‘ nenne: wir wollen Frieden auf der Welt haben, wir wollen freundlich sein, also sprechen wir nie über unangenehme Themen oder wir versuchen, sie zu vermeiden.“
Ben Ebrahim glaubt, dass dieses Zögern von einem Widerwillen herrührt, Misserfolge anzusprechen und von der Angst, systemischen Rassismus innerhalb von Organisationen zu entlarven, selbst wenn bestimmte Projekte oder Aktionen mit den besten Absichten durchgeführt wurden.
„Sie müssen sich eingestehen, dass es Probleme in ihrer Organisation gibt. Dass das, was sie getan haben, auch wenn sie vielleicht denken, dass es die tollste Sache der Welt ist, möglicherweise die katastrophalste und traumatischste Erfahrung für andere gewesen sein könnte“, warnt er.
Diese Debatte ist für Ben Ebrahim unvermeidlich geworden, so schwierig sie auch sein mag. Denn die sozioökonomischen Auswirkungen des Coronavirus verschlimmern die ohnehin schon schwierigen Bedingungen für Minderheiten, die unter der Armutsgrenze leben.
„Bei einem interreligiösen Treffen sprach ich kürzlich mit einem Freund, der Christ ist. Wir waren uns einig, dass wir die Religion als Werkzeug nutzen müssen, um Gerechtigkeit zu schaffen. Denn was hat es für einen Sinn, gläubig zu sein, wenn deine Nachbarin oder dein Nachbar nichts hat?“
Zivile Unruhen in den Vereinigten Staaten
Die Spannungen erreichten im Mai letzten Jahres einen Höhepunkt, als der Tod von George Floyd durch die Gewalt eines weißen Polizeibeamten in den Vereinigten Staaten Empörung auf der ganzen Welt auslöste. Für viele markierte Floyds Tod den Gipfel jahrhundertelanger Rassenungerechtigkeit zu einer Zeit, in der das Coronavirus enorme systemische Ungleichheiten aufdeckte, die schwarze und Minderheitengemeinschaften überproportional stark trafen.
Die Proteste lösten in den USA Unruhen in einem Ausmaß aus, die seit der Ermordung von Martin Luther King Jr. Im Jahr 1968 nicht mehr gesehen worden waren. Viele Glaubensgemeinschaften, insbesondere alteingesessene protestantische Kirchen, wurden gezwungen, sich mit ihrer eigenen komplizierten Geschichte mit Rassismus auseinanderzusetzen.
Bewegungen wie Black Lives Matter und andere gingen für Gerechtigkeit für alle Menschen auf die Straße. Vier interreligiöse Organisationen, darunter das Weltparlament der Religionen, URI, Religions for Peace und das Interfaith Center of New York, veröffentlichen eine Erklärung mit dem Titel, „Religiöse Führer und Gemeinschaften über die Krise der Rassenungerechtigkeit und Ungleichheit“.
Das Dokument verurteilte „ethnische Ungerechtigkeit, tiefgehende Ungleichheiten, Hassrede, Brutalität und autoritäre Macht“, die gegen Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner eingesetzt werden. Das alles zu einer Zeit, in der „Millionen Menschen von einem globalen Virus infiziert und betroffen sind“.
Zu den Unterzeichnern gehörten Vertreterinnen und Vertreter der Baha'i-, buddhistischen, christlichen, hinduistischen, humanistischen, indigenen, Jain-, jüdischen, muslimischen, Sikh-, taoistischen, unitarisch-universalistischen und zoroastrischen Gemeinschaften. „Wir müssen uns eingestehen, dass unsere Religionsgemeinschaften viel zu lange eine Mitschuld getragen haben.“
Audrey Kitagawa war die Vorsitzende des Weltparlaments der Religionen, als die Erklärung veröffentlicht wurde. Sie war aktiv an deren Ausarbeitung beteiligt.
„Oft ist die Selbstreflexion ein sehr schwieriger Prozess. Er setzt die Bereitschaft voraus, die Verleugnung hinter sich zu lassen und offen zu sein für die Möglichkeit, dass man sich im Großen und im Kleinen verändern muss“, meint Kitagawa.
Sie fügt hinzu, dass diese Veränderungen oft viel Mut erfordern. „Es kann sein, dass man gegen Überzeugungen und das Festhalten an Handlungen ankämpfen muss, die sich aus diesen Überzeugungen ergeben. Das betrifft die ganze Geschichte der Sozialisierung und unserer Denkweisen, die durch den Kontext geprägt sind, in dem wir uns befinden. Davon abgesehen glaube ich, dass ein Prozess der wirklichen Veränderung begonnen hat.“
Interreligiöses Auftreten gegen Rassismus und Unterdrückung
Glaubensgemeinschaften in den ganzen Vereinigten Staaten haben sich dem angeschlossen. Im Juni 2020 startete der Bischofsrat der United Methodist Church die Kampagne #End Racism und rief jedes einzelne Kirchenmitglied dazu auf, „gemeinsam Stellung gegen die Unterdrückung und Ungerechtigkeit zu beziehen, die Schwarze tötet.“
Im Oktober 2020 hat der Kirchenrat von Minnesota, der 25 Kirchengemeinschaften und eine Million Gläubige umfasst, seine eigene Initiative für „Wahrheit und Wiedergutmachung“ gestartet. Der Zehn-Jahres-Plan für die Versöhnung von Ethnien erkennt die Mitschuld der Kirche am Rassismus gegen Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner sowie Ureinwohnerinnen und Ureinwohner an. Finanzielle Hilfen und langfristige Programme sollen als Wiedergutmachung Minderheitengemeinschaften zugutekommen.
Diese Aufarbeitung innerhalb der Glaubensgemeinschaften spiegelt Veränderungen auf dem Capitol Hill wider, wo Rassengleichheit als eine der vier Hauptprioritäten für die Biden-Harris-Administration aufgeführt wurde, die im Januar ihr Amt antrat. Kamala Harris selbst hat als erste weibliche Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten sowie als erste Vizepräsidentin schwarzer und südasiatischer Abstammung Geschichte geschrieben.
„Unabhängig von den Kommentaren, die in Bezug auf institutionellen und strukturellen Rassismus gemacht wurden, ist die Quintessenz für die meisten Menschen, dass sie diesen Prozess der Herabwürdigung anderer wirklich nicht mit ihrer Moral und ihrem Gewissen verbinden können“, so Kitagawa.
„Ich glaube, das sind alles sehr positive Zeichen. Wir als Menschen und spirituelle moralische Wesen haben ein Gewissen und unser innerer moralischer Kompass leitet uns an.“