- Unsere Geschichten
- Features
- "Was uns unterscheidet und trennt kann uns auch zusammenführen"
"Was uns unterscheidet und trennt kann uns auch zusammenführen"
In einem Kaffeehaus an einer belebten Straße in Ilford, London, erinnert sich Asma Shuweikh an jenen Zwischenfall, der ihr zu internationaler Bekanntheit verhalf.
Letzten November stand sie plötzlich im Mittelpunkt des weltweiten Social-Media-Interesses als ein Video von ihr aus der Londoner U-Bahn viral wurde. Shuweikh, die im Londoner Stadtteil Barnett aufwuchs, aber nun seit bereits zehn Jahren in Birmingham lebt, kam nach London um Freunde und Verwandte zu besuchen. Eines Morgens, als mit der „Northern Line“ von Golders Green nach Leicester Square fuhr, beobachtete sie einen männlichen Fahrgast der an ihr vorbeilief um kurz danach boshafte anti-semitische Verbalattacken gegen einen jüdischen Fahrgast und dessen Ehefrau zu reiten. Der Mann bedrohte auch die beiden Kinder des Ehepaares.
Im Video das um die Welt ging und weniger als zwei Minuten lang ist sieht man Shuweikh wie sie interveniert um den Angreifer mit ruhiger Stimme zu besänftigen. Sie appelliert an dessen Gutmütigkeit, auch indem sie auf die Anwesenheit der Kinder des Mannes aufmerksam macht. Der gesamte Zwischenfall dauert ungefähr 15-20 Minuten.
In einer Zeit in der Großbritannien einen Anstieg antisemitischer Vorfälle verzeichnet – die aktuellsten Zahlen aus 2019 zeigen eine zehnprozentige Steigerung solcher Zwischenfälle im Vergleich zum Vorjahr – steht das Handeln von Shuweikh charakteristisch für den Erfolg der Mäßigung und des interreligiösen Dialogs. In den nachfolgenden Tagen wurde sie für ihr Einschreiten von britischen PolitikerInnen, ReligionsführerInnen und vielen anderen Menschen in den sozialen Medien stark gelobt.
In einer Aussendung der “Kampagne gegen Antisemitismus“ verlautbarte der jüdische Vater, der nicht namentlich genannt werden wollte, dass er Schuweikh „sehr dankbar“ für ihr Eingreifen ist. „Wir sind uns sicher, dass die Beleidigungen durch den Mann ohne ihr Einschreiten und ihre Ablenkung weitergegangen wären und mitunter sogar zu physischer Gewalt hätten führen können“, so der jüdische Mann aus der U-Bahn.
Der Verdächtige, dessen Name und Alter von der Polizei nicht öffentlich gemacht wird, wurde später wegen Verdachts des rassistischen Übergriffs und Störung der öffentlichen Ordnung festgenommen.
Shuweikh sagte, dass sie auf dem Weg ins Krankenhaus war als sie den Angreifer sah. „Ich bestieg den U-Bahn-Zug der Northern Line bei der Station Golders Green. Das war auch der Moment, als der Mann die jüdische Familie sah. Er lief an mir vorbei und sagte zu ihnen: „Seid ihr jüdisch?“. Er zeigte auf sie und begann sie antisemitisch zu beleidigen. Er sagte Dinge wie „Ihr seid keine wirklichen Juden. Ihr seid Betrüger. Ihr werdet meine Sklaven sein“. Er sagte Dinge, die ich noch nie zuvor gehört hatte.“
Shuweikh erinnert sich daran, dass die Stimme des Mannes immer lauter wurde und er immer aufgeregter reagierte. Sie entschloss sich dann dazu, ihn zu unterbrechen als der Mann begann mit den Kindern zu sprechen. „Das war der Moment als ich dachte: das ist jetzt zu viel. Er schimpfte sehr viel“.
Sie hatte keine Ahnung davon, dass das Video des Vorfalls dann in den sozialen Medien landete. Erst Stunden später, als ihr jemand den Link dazu schickte und fragte, ob sie in dem Video zu sehen sei, bemerkte sie es. Shuweikh blickte in die sozialen Medien und realisierte, dass das Video bereits tausendfach geteilt wurde. „Ich konnte es nicht fassen. Du weisst nie, in welchen Momenten dich jemand filmt. Die Kommentare waren sehr inspirierend und nett“.
Weniger als einen Monat nach dem Zwischenfall hatte Shuweikh bereits über 30 nationalen und internationalen Medien Interviews gegeben, darunter der BBC und Channel 5. „Ich hatte während des Zwischenfalls gar nicht an das gedacht“, sagt sie über ihr Einschreiten. „Ich dachte mir nur: Ich kann nicht zulassen, dass das passiert“.
“Das ist das erste Mal überhaupt, dass ich Menschen gute Dinge über Muslime sagen höre“, fügt sie hinzu. „Ich gebe diese Interviews weil ich hoffe, dass ich dadurch andere Menschen dazu ermutigen kann ebenfalls ihre Stimme zu erheben wenn sie wo Ungerechtigkeit wahrnehmen. Ich denke, dass ich stellvertretend für viele andere Menschen stehe, die auch so wie ich sind. Wenn Menschen eine Frau mit Hijab sehen dann denken sie die Frau wäre ruhig, unterdrückt, und dass sie nichts sagen würde. Diese Menschen irren. Wir werden sehr wohl etwas sagen”.
Shuweikh, die an christlichen, muslimischen und jüdischen Schulen in London studierte, sagt, dass sie sich schon immer dazu verpflichtet fühlte gegen jegliche Form der Intoleranz aufzutreten. „Als praktizierende Muslimin habe ich gelernt, gegen Ungerechtigkeiten anzukämpfen“, erzählt sie. „So sind wir einfach. Es ist egal welcher ethnischen Gruppe oder Religion das Opfer angehört. Wenn du eine Ungerechtigkeit siehst dann musst du etwas dagegen sagen. Auf eine Art und Weise, die dich selbst nicht in Gefahr bringt. Wenn das nicht möglich ist, dann musst du die Polizei rufen, aber zumindest darfst du nicht wegsehen“, so Shuweikh.
Wie wichtig Toleranz ist lernte sie von ihrer Mutter, die sie im Islam schulte. „Unser Prophet Mohammed (Friede seit mit ihm) hatte jüdische Nachbarn und christliche Freunde die an seiner Seite kämpften als der Islam entstand. Das war auf eine gewisse Weise mein Vorbild weil er wusste, dass er sowohl Bürger als auch Nachbar sein musste“.
“Nur weil du Moslem bist heisst das nicht, dass du nicht friedlich mit Menschen die einer anderen Religion angehören zusammenleben kannst. Nur weil du Moslem bist heisst das nicht, dass du dich nicht in die britische Gesellschaft integrieren kannst. Ich wurde hier in London geboren und sehe mich selbst als britische Bürgerin. Hier ist meine Heimat. Wenn ich etwas schlechtes sehe dann weiß ich, es muss gelöst werden. Als Bürgerin weiß ich: Es muss gelöst werden“.
Als Opfer von Islamophobie erzählt Shuweikh, dass sie sofort Mitgefühl mit der jüdischen Familie hatte. Im Jahr 2010 wurde sie in einem Autobus von einem anderen Fahrgast beleidigt. „Jemand nannte mich einen Putztuchkopf. Er nannte mich eine Terroristin und spuckte mich an bevor er ausstieg“.
Sie hofft, dass jede Person die das Video des Vorfalls aus dem November auf der „Northern Linie“ zu sehen bekommt dieses als Plädoyer für Toleranz sieht. „Was uns unterscheidet und trennt kann uns auch verbinden. Ich interessiere mich für die Religionen und Geschichten anderer Menschen. Es bereichert unser Leben auf eine gewisse Art und Weise, es macht uns weniger engstirnig. Es ist eine Lektion für Menschen nicht antisemitisch zu sein, es ist eine Lektion für Menschen nicht islamfeindlich zu sein und niemanden bloß aufgrund der Hautfarbe zu beurteilen. Es ist eine Lektion für jedermann“.