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Religion und Politik der G20: weltweit Gerechtigkeit und Wohlstand schaffen
Im Rahmen der interreligiösen G20-Konsultationen in Europa befassten sich Jeff Simon und Rachel Bayani vom Brüsseler Büro der Bahá'í International Community (BIC) damit, wie Glaubensgemeinschaften zu politischen Diskursen auf internationaler Ebene beitragen können, die die Förderung von globalem Wohlstand und Gerechtigkeit zum Ziel haben.
Wie können Religionsgemeinschaften und Glaubensorganisationen Hilfsmaßnahmen während der Pandemie unterstützen?
Jeff: Wir haben uns mit dem Wirken der einzelnen Personen und der Gemeinschaften während der Pandemie befasst. Wir haben gesehen, wie Menschen aus der jeweiligen Nachbarschaft Verantwortung für Maßnahmen während der Krise übernommen haben. Sie fanden Wege, um das Leben vor Ort weiter zu ermöglichen.
Den Religionsgemeinschaften kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Sie erinnern die Menschen an ihre Nachbarinnen und Nachbarn. Sie leisten emotionale und psychologische Unterstützung für Bedürftige. Und sie bewegen verschiedene Gesellschaftsschichten zur Zusammenarbeit.
Glauben Sie, dass die Pandemie in gewisser Weise dazu beigetragen hat, Menschen zu vereinen?
Rachel: Während der Pandemie wurde die menschliche Identität in neuem Licht betrachtet. In einer Krise werden wir gezwungen, mehr Verständnis für etwas aufzubringen.
Während der COVID-19-Krise haben Bahá'í-Gemeinschaften auf der ganzen Welt versucht, sich um die Bedürfnisse der Menschen um sie herum zu kümmern. In Indien wurden Menschen mit Lebensmitteln versorgt. In Vanuatu wurden Menschen dabei unterstützt, Ernährungsunabhängigkeit zu erreichen. Der Glaube muss konkreten Ausdruck in Taten finden.
Können Religionsgemeinschaften in Hinblick auf die wirtschaftliche Erholung der Welt nach einer Pandemie ein positives Beispiel geben?
Jeff: Es ist eine Frage der Umverteilung des Reichtums, nicht nur des materiellen Reichtums, sondern auch von Bildung und anderen Dinge. Es ist auch eine Frage der Gerechtigkeit und der Chancen. Religiöse Führerinnen und Führer können diese Fragen in den Fokus rücken. Wir dürfen nicht nur an das Monetäre denken, zum Beispiel wie wir die wirtschaftliche Erholung Europas und anderer Teile der Welt finanzieren können. Wir müssen viel mehr über umfassendere Perspektiven angesichts von Vernetzung und Interdependenz nachdenken.
Ich glaube, dass in der Wirtschaft vieles „von oben herab“ passiert. Wir sehen oft nicht, dass es an der Basis, zum Beispiel in Dörfern oder kleinen Städten, bereits Systeme gibt, die in Krisenzeiten funktionieren. Es gibt zum Beispiel lokale Kreditsysteme, die Projekte finanzieren, wenn die Zukunft ungewiss ist.
Glaubensgemeinschaften können Menschen zu solchen Initiativen inspirieren. So kann die lokale Wirtschaft gestärkt werden. In der Folge profitieren die regionale Wirtschaft und dann die Wirtschaft eines ganzen Landes davon.
Europa wird sich im nächsten Jahrzehnt mit einigen wichtigen Themen auseinandersetzen müssen, darunter Hassrede, Migration und Klimawandel. Können religiöse Persönlichkeiten und interreligiöser Dialog dabei helfen?
Rachel: Interreligiöser Dialog ermöglicht den Aufbau eines gemeinsamen Verständnisses dafür, was Gesellschaft bedeutet, was sie braucht und was passieren muss, damit sie vorankommen kann. In diesem Sinne halte ich interreligiösen Dialog für sehr wichtig.
Glaubensgemeinschaften dürfen jedoch nicht nur zusammenkommen, um gemeinsam nachzudenken und zu reflektieren. Sie müssen auch gemeinsam handeln. Dieses Handeln kann viele Dinge umfassen, einschließlich der Frage, wie man Hassrede und Scheinheiligkeit entgegenwirken kann. Gesetze zur Anti-Diskriminierung oder gegen Hassrede und Hassverbrechen sind sicherlich wichtig, aber es muss noch etwas viel, viel Tiefergehendes geschehen.
Dies muss auf lokaler Ebene beginnen. Glaubensgemeinschaften müssen ihr Möglichstes tun, um miteinander zu arbeiten. Wenn man an der Basis mit anderen zusammenarbeitet, lernt man einander kennen. So wird Gleichgültigkeit verhindert. Diese entsteht, wenn Gemeinschaften nebeneinander leben, ohne sich zu engagieren.
Es muss damit beginnen, dass Kinder verschiedener Glaubensgemeinschaften zusammenkommen und sich um die Bedürfnisse ihres lokalen Umfelds kümmern. Dann geht es weiter über die Jugend bis ins Erwachsenenalter.
Jeff: Wir müssen die Art, wie wir miteinander kommunizieren, neugestalten. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir in unserer Kommunikation eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen können, anstatt eine Atmosphäre des Misstrauens. Wir brauchen echtes Engagement und gegenseitiges Lernen. Positive Atmosphäre kann durch das Kennenlernen eines bestimmten sozialen Umfelds oder einer sozialen Realität gefördert werden.
Wie steht es mit dem Klimawandel?
Rachel: Es geht darum, die Art und Weise, wie wir als Gesellschaft agieren, völlig neu zu gestalten. Wir müssen unsere Annahmen über die menschliche Natur, über das Individuum und über die Gesellschaft als Ganzes überprüfen. Nur so können wir dem Klimawandel begegnen.
Sehen wir den einzelnen Menschen nur als Konsumentin oder Konsument, dann wird die Politik auch nur danach gestaltet. Es gibt Volkswirtschaften, die einzig darauf ausgerichtet sind, das Individuum als Konsumentin oder Konsument zu versorgen. Das führt zu Überkonsum und Überproduktion, was sich nachteilig auf die Umwelt auswirkt.
Religionsgemeinschaften betrachten das Individuum anders. Sie sehen den Menschen als edel, mit Fähigkeiten ausgestattet, mit einer moralischen Dimension. All das gilt es zu pflegen - nicht nur die physischen, materiellen Bedürfnisse.
Mit einer anderen Sicht auf das Individuum kann sich die Politik ändern. Wirtschaftliches Wachstum sollte nicht das einzige sein, was eine Gesellschaft antreibt. Es braucht etwas Tiefergehendes.
Zum Abschluss: Was hat Religion mit der Migrationsdebatte zu tun?
Rachel: Migration bereichert Orte und trägt zur Entwicklung von Gesellschaften bei. Migration bewirkt den Fortschritt der Zivilisation. Verschiedene Teile der Menschheit kommen zusammen und bereichern sich gegenseitig.
Wir sorgen uns jedoch um Flüchtlinge. Menschen werden gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Dies kann viele Formen annehmen: Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, vor politischer Instabilität, wirtschaftlicher Unterdrückung, ohne Hoffnung für die Zukunft, ohne Aussicht ihre Familien ernähren zu können.
Wie ist unsere gegenwärtige Wirtschaftsordnung gestaltet, dass zum Beispiel die Entstehung einer lokalen afrikanischen Wirtschaft verhindert wird? Diese Wirtschaftsordnung muss überdacht werden, damit die Prinzipien der globalen Gerechtigkeit und des Wohlstands - die Schlüsselelemente von Glauben und Religion - verwirklicht werden können.
Jeff Simon ist politischer Referent der internationalen Bahá'í-Gemeinschaft. Er nahm an den diesjährigen Konsultationen des Interreligiösen G20-Forums teil.
Rachel Bayani vertritt das Brüsseler Büro der Internationalen Bahá'í-Gemeinschaft. Vor ihrem Beitritt arbeitete sie als Anwältin bei den Vereinten Nationen und der Europäischen Union.