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„Er ist gekommen, um das Vertrauen der Menschen ineinander wiederherzustellen“: Pater Rifat Bader spricht über den Besuch von Papst Franziskus im Irak
Pater Rifat Bader ist Experte für die Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und der arabischen Region sowie Gründungsmitglied der von KAICIID unterstützten Plattform für Dialog und Zusammenarbeit in der arabischen Welt. Er agierte als Sprecher bei drei Papstbesuchen in Jordanien und sprach mit KAICIID über die historische Reise von Papst Franziskus in den Irak.
Der Besuch von Papst Franziskus war besonders bedeutsam für den religiösen Pluralismus im Irak. Was war die Botschaft an die religiösen Minderheiten, die Gewalt und Unterdrückung erdulden müssen?
Die Achtung des religiösen Pluralismus ist eines der wichtigsten Themen im Irak. Dieser Besuch war besonders wichtig für die Beziehungen zwischen Gläubigen verschiedener Religionen. Dazu gehören zum Beispiel muslimische und christliche Gläubige, aber auch Baha'i, Mandäer und einige andere. Früher haben wir Christen und Muslime als partnerschaftliche Gesellschaften bezeichnet, aber hier – Gott sei Dank nur für kurze Zeit – sind sie aufeinander losgegangen. Das geschah, weil militante Terrorgruppen das Ansehen des Irak zerstören wollten. Papst Franziskus‘ Besuch erfolgt nach dieser Beschädigung, dieser Dekonstruktion des Landes, aber jetzt ist alles bereit für den Beginn einer neuen Ära, in der der Respekt zwischen den verschiedenen Religionen besonders bedeutsam ist. Die Religionsfreiheit ist die wichtigste aller Freiheiten, ohne sie kann es keine Demokratie geben. In diesem Sinne war das Treffen der Religionen in Ur ein Neuanfang, ein Sonnenaufgang für gute Beziehungen zwischen den Religionen, eine Mission, die Papst Franziskus erfüllt hat, aber auch eine Botschaft aus dem Irak an die ganze Welt: Teile des religiösen Pluralismus zu verlieren ist wie der Verlust von Mosaiksteinen. Mit der Flucht von Christinnen und Christen aus Mossul und der Ninive-Ebene verloren ihre muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger auch einen wichtigen Teil ihrer Gesellschaft.
Welche Bedeutung hatte dieser Besuch für die gesamte Nahostregion und für den interreligiösen Dialog auf globaler Ebene?
Bei einem päpstlichen Besuch geht es nie nur um die lokale Gemeinschaft. Er betrifft die Weltkirche, die ganze Welt, die ganze Menschheit. Mit dem Papst kamen etwa 70 Medienvertreterinnen und -vertreter aus der ganzen Welt in den Irak. Sie berichteten nicht nur über die beiden Pressekonferenzen bei der Ankunft und vor seiner Abreise, sondern auch über die Begegnungen und Reden des Papstes, die sich an die ganze Welt richteten und die Bedeutung des religiösen Pluralismus und der christlichen Präsenz im Land betonten. Begegnungen wie jene, die der Papst mit Ayatollah Al Sistani abhielt, betreffen nicht nur die irakische Gemeinschaft, sondern auch die Beziehungen zwischen den Religionen in der ganzen Welt, wo die schiitische Gemeinschaft etwa 300 Millionen Menschen zählt. Es war auch ein bedeutsames Ereignis für die Beziehungen zwischen Sunniten und Schiiten, die nicht immer friedlich sind. Treffen wie dieses werden Auswirkungen auf die gesamte Region des Nahen Ostens haben, wo die Religion von Terroristen zur Rechtfertigung von Gewalt benutzt wird. Wenn sich religiöse Führungspersönlichkeiten treffen, wie sie es in Ur und Al Sistanis Heimat getan haben, senden sie eine wichtige Botschaft an die ganze Welt: kein weiteres Töten im Namen Gottes. Religion steht für Frieden und der Name Gottes darf nur für friedliche Zwecke verwendet werden.
Sie waren bei drei päpstlichen Besuchen in Jordanien als Sprecher dabei. Hat sich die Botschaft dieser Besuche im Laufe der Jahre verändert und inwiefern unterscheidet sich der Besuch von Papst Franziskus im Irak von denen seiner Vorgänger und seinem eigenen Besuch in Jordanien?
Papst Johannes Paul II. kam im Jahr 2000 nach Jordanien, vor Benedikt XVI. im Jahr 2009 und Papst Franziskus im Jahr 2014. Er wollte im Rahmen derselben Reise auch den Irak besuchen, doch über das Land war ein internationales Embargo verhängt worden, aus Respekt vor den Vereinten Nationen fuhr er nicht hin. Stattdessen unternahm er eine virtuelle Pilgerreise. Papst Franziskus erhielt ein Video aus Ur und betete, als ob er dort wäre. Es ist interessant, dass während der Pandemie alles virtuell abläuft und Papst Franziskus es geschafft hat, persönlich in den Irak zu kommen. Mit seinem Besuch wurde sowohl sein Wunsch als auch der von Johannes Paul II. wahr. Der Besuch von Papst Franziskus im Irak ist anders als päpstliche Besuche im Heiligen Land, weil es um die Märtyrer des 21. Jahrhunderts geht. Als er in der Kirche Unserer Lieben Frau der Erlösung in Bagdad betete, konnte der Papst das Blut derer riechen, die im Jahr 2010 während der Sonntagsmesse getötet wurden. In Mossul betete er inmitten der Ruinen einer zerstörten Kirche. Papst Franziskus kam in den Irak, um das Vertrauen der irakischen Menschen ineinander, in ihr Land und in die Zukunft wiederherzustellen. Sein Besuch war auch ein Aufruf an diejenigen, die das Land verlassen haben, zurückzukommen und zur Schaffung eines neuen Irak beizutragen.
Sie sind Experte für die Beziehungen zwischen Religion und Medien. Welche Rolle spielen die Medien bei der Förderung des interreligiösen Dialogs und des Friedens oder könnten sie spielen?
Der verstorbene Anführer des „Islamischen Staats“, Al Baghdadi, hat einmal die Medien dafür gelobt, dass sie seinen Ideen helfen, junge Menschen auf der ganzen Welt zu erreichen. Medien haben eine enorme Kraft, die auch auf negative Weise genutzt werden kann. Deshalb war ich nicht überrascht, wie viele junge Menschen aus Jordanien und anderen Orten im Nahen Osten sich dem IS angeschlossen haben, nachdem sie ihm auf seinen Kanälen in den sozialen Medien gefolgt waren. Medien können aber auch helfen, die Liebe, die Schönheit und die Zusammenarbeit zwischen den Menschen wiederherzustellen. Wir müssen die Menschenwürde und eine „Kultur der Begegnung“ durch Medien fördern und Widerstand gegen Gewalt und die Zerstörung von Gesellschaften leisten.
Sie gehören auch zu den Gründungsmitgliedern der von KAICIID unterstützten Plattform für Dialog und Zusammenarbeit in der arabischen Welt (IPDC). Was ist die Rolle dieser Plattform und welche Ziele hat sie bisher erreicht?
Bei IPDC geht es darum, religiöse Führerinnen und Führer sowie Institutionen aus der gesamten arabischen Region zu versammeln. Es war nicht einfach, einen Weg dafür zu finden, denn in der Religion ging es nicht immer darum, zusammenzukommen. Manchmal nehmen wir Unterschiede als Grund für Streitigkeiten oder für ein Gegeneinander statt für ein Miteinander wahr. Als die Gründung dieser Plattform im Februar 2018 in Wien offiziell verkündet wurde, war das die Erfüllung eines Traums. Eines der Vorstandsmitglieder von IPDC, Mesrur Muhialdeen, hat an dem Treffen mit dem Papst in Ur teilgenommen. Das hat mich sehr glücklich gemacht, weil es beweist, dass wir bei interreligiösen Veranstaltungen präsent sind und im Nahen Osten, trotz aller Schwierigkeiten, eine wichtige Rolle spielen. Wir müssen weiterhin Initiativen fördern, die Menschen zusammenbringen und die Rolle der Religion als Mittel zum Frieden betonen. Wir müssen uns als Individuen und als Religion als Ganzes das Gebet des Heiligen Franziskus aus dem 12. Jahrhundert zu eigen machen: „Oh Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens“.
Der letzte Tag des Papstbesuches im Irak fiel mit dem Internationalen Frauentag zusammen. Im Irak haben Frauen aus religiösen Minderheiten, und nicht nur sie, sehr gelitten. Viele von ihnen sind Opfer der schrecklichsten Formen von Gewalt geworden. Welche Rolle werden sie jetzt bei der Friedenskonsolidierung spielen?
In Qaraqosh drückte der Papst seine herzliche Dankbarkeit gegenüber allen Müttern und grundsätzlich allen Frauen im Irak aus. Er beschrieb sie als mutige Frauen, die trotz des erlittenen Unrechts und der Wunden, die ihnen zugefügt wurden, weiterhin Leben schenken. „Frauen müssen respektiert und geschützt werden und ihnen sollen Möglichkeiten gegeben werden.“ Der Papst sprach mit einer Frau, die sehr gelitten habe, aber nun bereit war zu vergeben. Der Papst sagte, Vergebung sei der Schlüssel für die Zukunft des Irak. Aber es bedürfe auch Chancen für Frauen, damit sie ihr Leben in der neuen irakischen Gesellschaft aufbauen können, das auf Gerechtigkeit, Gleichheit und Vergebung basiert.
Über Pater Rifat Bader
Pater Rifat Bader ist Gründungsmitglied der von KAICIID unterstützten Interreligiösen Plattform für Dialog und Zusammenarbeit in der arabischen Welt und Experte für die Beziehungen der Region zum Vatikan. Er wurde 1995 Priester im Lateinischen Patriarchat und arbeitete als offizieller Pressesprecher für drei Papstbesuche in Jordanien: Papst Johannes Paul II. (2000), Papst Benedikt XVI. (2009) und Papst Franziskus (2014).
Im Jahr 2003 gründete er mit abouna.org ein „Medium für Menschen“, dessen Chefredakteur er bis heute ist. Seit 2012 ist er außerdem Gründer und Leiter des Katholischen Zentrums für Studien und Medien. Er ist Autor mehrerer Bücher und schreibt für mehrere jordanische, arabische und ausländische Tages- und Wochenzeitungen. Pater Bader hat an vielen Vorträgen, Fernsehinterviews und internationalen Konferenzen teilgenommen. Er spricht fließend Arabisch, Englisch, Französisch und Italienisch und ist in den sozialen Medien aktiv. Er hat viele Workshops organisiert, um junge Studierende über „die positive Nutzung von Kommunikationsmitteln für Annäherung und Dialog“ zu schulen.
Das einflussreichste Instrument der Medien ist der Journalismus. Er trägt dazu bei, Meinungen und…