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- „Gewalt gegen Frauen ist eine Pandemie ohne Grenzen“
Expertinnen und Experten forderten bei einem Webinar über Gewalt gegen Frauen während der COVID-19-Pandemie religiöse Führerinnen und Führer sowie Politikerinnen und Politiker auf, rasch und koordiniert zu handeln, um die steigenden Zahlen häuslicher Gewalt auf der ganzen Welt zu stoppen.
Beim Webinar, das am 29. Juni stattfand und von KAICIID mitorganisiert wurde, konnten folgende Rednerinnen und Redner begrüßt werden: Dubravka Šimonović, Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für Gewalt gegen Frauen; Shahin Ashraf, Leiterin von Global Advocacy for Islamic Relief Worldwide; Anna Alvazzi del Frate, Vorsitzende der Allianz der NGOs für Verbrechensverhütung und Strafjustiz; Ugoji Eze, Gründer der Stiftung Eng Aja Eze; Vesna Nikolić-Ristanović, Direktorin der Victimology Society Serbia; Fatma Ismetova Usheva, Forscherin im Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung; und Sakena Yacoobi, Direktorin des Afghan Institute of Learning.
Einem kürzlich von den Vereinten Nationen veröffentlichten Bericht zufolge waren in den letzten 12 Monaten weltweit mehr als 243 Millionen Frauen und Mädchen körperlicher oder sexueller Gewalt ausgesetzt. Es wird erwartet, dass diese Zahl während der COVID-19-Pandemie weiter ansteigen wird. Sicherheits-, Gesundheits- und Finanzprobleme würden die Spannungen mitunter auslösen, die durch Ausgangsbeschränkungen und Isolationsmaßnahmen noch verschärft werden.
„Während der Ausgangsbeschränkungen werden Frauen und Kinder zu Hause eingeschlossen, und obwohl für die Mehrheit der Menschen das Eigenheim sicher ist, kann es für diejenigen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, ein sehr gefährlicher Ort sein“, berichtet Šimonović.
Bereits jetzt gibt es Berichte aus der ganzen Welt über eine deutliche Zunahme von Notrufen wegen häuslicher Gewalt seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen im März. In Frankreich haben die Berichte über häusliche Gewalt seit der Ausgangssperre am 17. März um 30 Prozent zugenommen. In Argentinien haben die Notrufe seit dem 20. März um 25 Prozent zugenommen.
„Wir müssen uns bewusst sein, dass COVID-19 eine Pandemie ohne Grenzen ist, aber auch Gewalt gegen Frauen ist eine Pandemie ohne Grenzen. Auch wenn es uns in Zukunft gelingt, COVID-19 zu besiegen, wird Gewalt gegen Frauen eine Herausforderung bleiben“, so Šimonović.
Laut Ashraf beobachten glaubensbasierte Organisationen (FBOs) während der COVID-19-Pandemie neue Geschlechterdimensionen, die „zahlreich und außerordentlich schwer sind, aber sie sind nicht neu oder überraschend. Wenn überhaupt, dann haben wir gesehen, dass das unsichtbare Coronavirus etwas sichtbar gemacht hat. Verdeutlicht wurden viele bestehende Bruchlinien in unserer Welt, soziale Ungerechtigkeiten, anhaltende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, Sexismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.“
Die Zunahme der häuslichen Gewalt passiert zu einer Zeit, in der die sozialen Dienste aufgrund der Pandemie beeinträchtigt sind. In einigen Ländern wurden Dienste wie die psychiatrische Betreuung von Vergewaltigungsopfern aufgrund überlasteter Gesundheitssysteme ausgesetzt. Polizei und Sicherheitskräfte haben auch über Überlastung auf Grund von COVID-19 berichtet.
Ashraf wies darauf hin, dass religiöse Institutionen und Gemeinschaften viele dieser Lücken füllen können und bereit sind, dies zu tun. „Aus den Forschungsarbeiten, die wir durchgeführt haben, haben wir erkannt, dass Spiritualität und Engagement für soziale Gerechtigkeit und die Bereitschaft, individuelle Maßnahmen zur Bekämpfung von Ungerechtigkeiten zu ergreifen, insbesondere während dieser COVID-19-Pandemie stärker denn je verbreitet sind“, erzählt sie.
„Es wird sehr wichtig sein, zu sehen, wie die FBOs jene Botschaften senden, die sich auf Gewalt und den Schutz der Opfer konzentrieren“, fügte Šimonović hinzu.
Obwohl die aktuelle Pandemie zahlreiche soziale, wirtschaftliche und politische Herausforderungen mit sich gebracht hat, bietet sie laut Ashraf auch die Chance, systemische Ungleichheiten zu verändern. „Viren diskriminieren nicht. Es sind die Gesellschaft und die Systeme, die diskriminieren. Was jetzt mehr denn je erforderlich ist, ist ein systematischer Wandel, der die Institutionen besser für die Bewältigung einer Krise, den Umgang mit ungleicher Verteilung und die Ausrichtung der Volkswirtschaften auf eine gemeinsame Perspektive rüstet.“
Ashraf erläuterte, dass diese institutionelle Transformation nicht nur auf Regierungen beschränkt ist, sondern auch auf religiöse Institutionen ausgerichtet sein sollte. „Ob das nun in unseren Moscheen, unseren Tempeln, unseren Kirchen, unseren Gurdwaras ist, wir alle müssen uns noch einmal überlegen, was Führungsqualitäten sind und was wir im Rahmen dieser gesellschaftlichen Erfahrung tun müssen.“