Im Jahr 2015 schlossen viele europäische Länder ihre Grenzen wegen des Zustroms von Flüchtlingen, die wegen den Konflikten im Nahen Osten ihre Heimat verließen. Die schwedische Bevölkerung hingegen war sehr stolz auf die Entscheidung ihrer Regierung, 163.000 Menschen aufzunehmen.
Inzwischen hat sich diese Einstellung jedoch geändert. Die rechtsextremen Schwedendemokraten erhielten Anfang des Monats besonders viele Wählerstimmen, nachdem sie einen 30-Punkte-Plan vorgestellt hatten, der darauf abzielt, die Bestimmungen bezüglich Einwanderung ins Land zu den restriktivsten in der EU zu machen. Politikerinnen und Politiker der Partei setzen sich dafür ein, Asylwerberinnen und -werber aufgrund ihrer Religion, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität abzulehnen.
„Die Vorstellung, dass Menschen aus anderen Ländern kommen, ist für manche eine Bedrohung“, sagt Carl Dahlbäck, Vikar der Pfarrgemeinde Nacka außerhalb von Stockholm. „Das ist ein Beispiel dafür, was passiert, wenn die Menschen einander nicht kennen gelernt haben.“
Dahlbäck ist seit über zwei Jahrzehnten im interreligiösen Dialog tätig und hilft der überwiegend christlichen Bevölkerung Schwedens, ihre Herzen und Kirchentüren für neue Bürgerinnen und Bürger zu öffnen.
Im Jahr 2003, lange vor der Flüchtlingskrise, veranstalteten Dahlbäcks Gemeinde und die muslimische Gemeinschaft zu Pfingsten gemeinsame Gebete auf dem örtlichen Fußballplatz. Die Veranstaltung war so erfolgreich, dass sie den Anstoß zu einer Reihe interreligiöser Zusammenkünfte gab. Als das Bedürfnis nach Dialog in der lokalen Gemeinschaft wuchs, gründete Dahlbäck im Jahr 2009 das „Haus Gottes“ – eine interreligiöse Begegnungsstätte für Christen und Muslime in Schweden.
Als Standort wählte er das schwedische Fisksätra, wo 8.000 Menschen aus mehr als 80 verschiedenen Nationen leben. Der Ort ist ein Symbol dafür, wie sich die historisch homogene Bevölkerung Schwedens schnell verändere, sagt er.
„Wir hatten viele Flüchtlinge, die nach Fisksätra gekommen sind“, erklärt Dahlbäck. „Als die Flüchtlingskrise 2015 begann, boten die Pfarrgemeinde Nacka und andere Kirchen Platz in ihren Räumlichkeiten und Familien, um den Menschen zu helfen.“
Vor allem das Haus Gottes wurde zu einem wichtigen Ort für neu angekommene Muslime, die in Schwedens Vorstädten Zuflucht suchten. „Es war wichtig, dass gläubige Christinnen und Christen, die den Flüchtlingen noch nie begegnet waren, sie kennenlernten. So entstanden Freundschaften und bis heute pflegen wir gute Beziehungen“, erzählt er.
Die Geburtenrate sinkt kontinuierlich, doch der Zustrom von Flüchtlingen hat die demografische Entwicklung Schwedens entscheidend verändert. Die muslimische Bevölkerung des Landes beläuft sich aktuell auf 810.000 Personen, das sind acht Prozent der zehn Millionen Einwohnerinnen und Einwohner Schwedens. Prognosen zeigen, dass der Anteil der muslimischen Bevölkerung bis 2050 auf 11 bis 31 Prozent ansteigen könnte, je nachdem, wie stark die Zuwanderung anhält.
Laut Pew Research hat die Migration die religiöse Zusammensetzung Schwedens aufgrund der geringen Bevölkerungszahl stärker beeinflusst als in größeren westeuropäischen Ländern.
In Fisksätra sind die Veränderungen Schwedens offensichtlich. Etwa 40 Prozent der Bevölkerung bezeichnen sich als muslimisch, 40 Prozent als christlich und 20 Prozent gehören einer anderen Religion an oder sind nicht religiös.
Diese Veränderungen sind nicht einfach, so Dahlbäck, denn viele Einwanderer fühlen sich ausgegrenzt und marginalisiert. Der interreligiöse Dialog ist für die Wahrung des Friedens innerhalb der Gemeinschaft von grundlegender Bedeutung.
„Die Arbeit, die wir in Fisksätra leisten, ist genau das, was in den Vorstädten gebraucht wird. Verschiedene Interessengruppen, darunter Organisationen der Zivilgesellschaft und religiöse Gruppen, kommen zusammen, um eine bessere, auf den Menschenrechten basierende Gesellschaft zu schaffen. Wir wollen, dass die Leute sich erfolgreich integrieren, damit sie einen Beitrag zur Gesellschaft leisten und ein erfülltes Leben führen können.“
In vielen Teilen Schwedens sind Flüchtlinge auf sich allein gestellt. Sie leben in einkommensschwachen Gegenden und suchen die Nähe zu Verwandten und Menschen, die ihre eigene Sprache sprechen, während sie sich in einem fremden Land zurechtfinden. Doch diese Abschottung führt oft zu Misstrauen, sagt Dahlbäck, das sich schnell zu Diskriminierung, Hassrede und sogar Gewalt ausweiten kann.
Junge Menschen zwischen 14 und 17 Jahren seien besonders gefährdet, kriminell zu werden und Drogen zu nehmen, fügt er hinzu. Im vergangenen Jahr stellte die Gemeinde Nacka dem Haus Gottes Mittel für ein Programm zur Verfügung, das jungen Menschen ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln und sie davor bewahren soll, von Banden angeworben zu werden.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Programms erhalten einen Lohn für gemeinnützige Tätigkeiten, die von der örtlichen Kirche organisiert werden. Dazu gehören Reinigungs-, Garten- und Malerarbeiten, Essensausgabe, Hilfe für Obdachlose und Müllsammeln. Zudem werden sie beraten und unterstützt, um ihre Ausbildung abzuschließen und eine erfolgreiche berufliche Laufbahn einzuschlagen.
„Wir wollten ihnen beibringen, sich um sich selbst und andere zu kümmern und Möglichkeiten wahrzunehmen, die sich ihnen für die Zukunft bieten“, so Dahlbäck.
Das Haus Gottes wendet sich auch an geflüchtete Frauen, die zu Hause oft sehr isoliert sind und sich um die Kindererziehung und den Haushalt kümmern müssen. Das macht es für sie schwierig, ihre sozialen Kontakte zu pflegen. Der interreligiöse Ort der Begegnung bietet Dialogveranstaltungen für muslimische Frauen sowie interreligiöse Veranstaltungen mit christlichen Frauen an.
„Es ist eine Chance für sie, ihren Hidschab abzulegen und sich von Frau zu Frau zu unterhalten. Der Dialog ermöglicht es ihnen, einander wirklich kennenzulernen, Unterstützung zu bekommen und Freundschaften zu schließen“, führt Dahlbäck weiter aus.
Das Haus Gottes hat zwar viel Zuspruch aus der lokalen Bevölkerung erhalten, doch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren auch mit gewalttätiger Islamophobie, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus konfrontiert – insbesondere von rechtsgerichteten nationalistischen Gruppen.
Dahlbäck und sein Team suchten nach Rat, um herauszufinden, wie sie die Integration der Flüchtlinge in Schweden inmitten eines politischen Minenfelds verbessern können.
Sie fanden Unterstützung in dem von KAICIID initiierten „Netzwerk für Dialog“, das religiöse Organisationen wie das Haus Gottes sowie Fachleute aus Wissenschaft und Politik, die auf dem Gebiet der Integration arbeiten, miteinander verbindet. Zu den Mitgliedern und Partnern des Netzwerks gehören auch etablierte Flüchtlingshilfe- und Dialogorganisationen wie ADRA, der Jesuiten-Flüchtlingsdienst, Arigatou International, HIAS Europe, Islamic Relief und die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC).
„Es ist schön, andere Menschen aus Europa zu treffen, die dasselbe tun wie wir. Wir inspirieren uns gegenseitig, um weiterzumachen, und geben einander Hoffnung für die Zukunft“, so Dahlbäck.
Anfang des Jahres war das Haus Gottes Gastgeber eines der regelmäßigen Treffen des Netzwerks für Dialog sowie eines Workshops zur Vorbereitung auf das bevorstehende Europäische Forum für politischen Dialog, das in diesem Jahr in Barcelona stattfinden wird. Im Laufe von zwei Tagen befassten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit den Problemen, mit denen Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten in verschiedenen europäischen Städten konfrontiert sind, darunter die Zunahme von Hassrede und Diskriminierung.
„Für den Workshop kamen viele Mitglieder des Netzwerks aus anderen Ländern zu uns. Manchmal hat man das Gefühl, wegen dieser Arbeit in einer Blase zu leben, doch wenn man an Konferenzen des Netzwerks teilnimmt, erlebt man eine andere Welt mit vielen Organisationen, die sich den gleichen Herausforderungen stellen wie man selbst“, so Dahlbäck.
Trotz der gegenwärtigen Schwierigkeiten des Landes mit der Integration hat Dahlbäck ehrgeizige Pläne, die verschiedenen Gemeinschaften von Fisksätra zu vereinen. Derzeit arbeitet er an der Erweiterung des Haus Gottes in Zusammenarbeit mit der örtlichen muslimischen Gesellschaft. Das Gebäude wird aus drei Teilen bestehen: einer Kirche, einer Moschee und einem verglasten zentralen Atrium, dem so genannten „Friedensplatz“, der die beiden Seiten miteinander verbinden wird.
Während das Projekt bei einigen auf Skepsis stößt, hofft Dahlbäck, dass es dazu beitragen wird, der Gemeinde die Augen für die Schönheit der Vielfalt zu öffnen.
„In einem säkularen Land wie Schweden haben die Menschen oft Angst vor der Begegnung mit Gläubigen anderer Religionen, weil sie nur wenig über die christlichen Traditionen unseres Landes oder die Religion im Allgemeinen wissen. Sie denken, Dialog bedeutet, dass man die Überzeugungen seines Glaubens verändert oder seine eigene Religion verliert. Doch das ist ein Irrtum. Durch den Dialog mit anderen Religionen lernt man viel mehr über seinen eigenen Glauben“, erklärt er.
Dahlbäck hofft auch, dass das neue interreligiöse Zentrum Fisksätra helfen wird, den demografischen Wandel erfolgreich zu bewältigen.
„Jede Tradition, Kultur und Religion verändert sich mit der Gesellschaft, mit der Zeit, mit neuen Werten. Es ist ein Missverständnis zu glauben, dass wir uns nicht verändern können. Wir müssen daran glauben, dass wir uns verändern können. Denn wir werden uns verändern.“