Was braucht es, um freundschaftliche Bande zwischen der jüdischen und der muslimischen Jugend zu knüpfen, in einer Zeit, in der die Religion im Mittelpunkt von Spaltung, Misstrauen und Konflikten zu stehen scheint? Was bedeutet es, sich auf einen Weg des Vertrauens und der Erneuerung des gegenseitigen Verständnisses zwischen den Religionen zu begeben?
Die Gründung des Muslim-Jewish Leadership Council (MJLC) im Jahr 2016 – ein europaweiter Zusammenschluss von 46 Imamen und Rabbinern – war ein zukunftsweisendes Instrument, um Solidarität zu fördern und ein greifbares Zeichen für Vertrauensbildung und Dialog zu setzen. Heute ist das MJLC-Botschafterprogramm, an dem junge jüdische und muslimische Führungspersönlichkeiten beteiligt sind, ein weiterer Schritt zur Überwindung von Spaltungen und Polarisierungen und stellt das Fundament für stärkeren Zusammenhalt der Gemeinschaften in Europa dar. Das Internationale Dialogzentrum KAICIID und MJLC bieten ihnen eine Plattform und unterstützen ihre Projekte, um diese jungen Führungskräfte mit den Fähigkeiten und Möglichkeiten auszustatten, die sie benötigen, um effektiv zusammenzuarbeiten und einen echten Wandel in ihren Gemeinschaften zu bewirken.
Etablierte religiöse Führerinnen und Führer arbeiten generationenübergreifend mit den jungen Botschafterinnen und Botschaftern zusammen. So bietet das Programm einen Weg, um gegenseitig bereichernde Beziehungen aufzubauen. Gleichzeitig formt eine neue Generation von religiös inspirierten Entscheidungsträgerinnen und -trägern lokale Initiativen, die die Nutzung physischer und emotionaler Räume durch Religionsgemeinschaften neu gestalten.
Getragen vom gemeinsamen Enthusiasmus für die interreligiöse Arbeit brachte die Veranstaltung „Ermutigende Zusammenarbeit“, die am 11. März 2024 im Wiener Forum für Demokratie und Menschenrechte stattfand und gemeinsam von KAICIID und MJLC organisiert wurde, die Bereitschaft der MJLC-Botschafter zum Ausdruck, sich für einen kulturellen Wandel einzusetzen. Zwei junge Frauen, Vitalina Paskarenko, eine Jüdin aus der Ukraine, die in Warschau lebt, und Rabab Nassabaih, eine deutsche Muslima mit libanesischem Hintergrund, die in Frankfurt lebt, schilderten Überlegungen und Gefühle in Bezug auf die Teilnahme an der Pilotphase des Botschafterinnenprogramms, angeregt durch die wohlüberlegten Fragen von Tim Mortimer, KAICIIDs Programmleiter für Europa. Ihre Geschichten handelten nicht nur von Ereignissen oder Projekten, sondern auch von der transformativen Reise von Individuen und Gemeinschaften, die sich in Richtung vertrauensvoller Beziehungen bewegen.
Die junge Generation interreligiöser Führungspersönlichkeiten zu fördern, ist von grundlegender Bedeutung, um die Kluft bei den gemeinsamen Werten und Grundsätzen zu überbrücken, die den sozialen Zusammenhalt in Europa untergräbt. Mit 85 Prozent der Weltbevölkerung, die sich zu einer Religion oder spirituellen Tradition bekennen, ist Religion ein Schlüsselfaktor, der den gesellschaftlichen Wandel von heute prägt und tiefgreifende Auswirkungen darauf hat, wie Menschen denken, handeln oder nicht handeln. Keine andere Kraft ist so tief im kollektiven menschlichen Bewusstsein verwurzelt.
Die Geschichten von Vitalina und Rabab zeugen von der transformativen Kraft des Dialogs und von der Hoffnung auf eine Welt, die von Frieden, Gerechtigkeit und Verständnis geprägt ist. Das Grundrechteforum bot den idealen Rahmen für die Erforschung von „Ermutigender Zusammenarbeit“, unter dem Motto „Von Erosion zu Ermächtigung: Schutz der Demokratie und des zivilen Raums in Europa“. Die Veranstaltung war mehr als nur ein Treffen der Personen, sie war eine Feier der gemeinsamen Menschlichkeit, die uns alle verbindet. Die Gespräche schlossen mit einer nachdenklichen Reflexion darüber, was es bedeutet, Europäerin oder Europäer zu sein. In ihren Worten erkannten Vitalina und Rabab, dass die Werte der Achtung der Menschenwürde, der Freiheit, der Demokratie und der Gleichheit, die in Artikel 2 des Vertrags von Lissabon, mit dem die Europäische Union gegründet wurde, verankert sind, sowohl die Voraussetzung als auch der rote Faden sind, der es ihnen ermöglicht, scheinbar konkurrierende Identitätsfacetten harmonisch in Einklang zu bringen.
Im Zuge der Weiterentwicklung des Botschafterprogramms wird das nächste Treffen „Junge Stimmen der Hoffnung in Zeiten der Spaltung“ vom 19. bis 22. Mai 2024 in Sarajewo veranstaltet, wo die zweite Auflage des Programms lanciert werden soll. Durch die Verbindung mit der komplexen Geschichte von Religion, Konflikt und Dialog in Bosnien und Herzegowina und angesichts der dringenden Notwendigkeit muslimisch-jüdischer Solidarität in Europa in der aktuellen Situation wird die Veranstaltung neue Einblicke in den Aufbau von Vertrauen, die Vermittlung von Hoffnung und die Herbeiführung sinnvoller Veränderungen in schwierigen Zeiten bieten. Die Zusammenkunft von politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern, lokalen Behörden, der Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen mit jungen Führungspersönlichkeiten wird dem Internationalen Dialogzentrum und dem Muslim-Jewish Leadership Council eine weitere Gelegenheit bieten, die Gemeinschaft der Stimmen zu vergrößern, die sich für die dauerhafte Kraft von Empathie und Dialog einsetzen.
Die jungen Persönlichkeiten sehen das MJLC-Botschafterprogramm als ein Leuchtfeuer der Hoffnung, das den Weg zu Gemeinschaften aufzeigt, in denen religiöse und kulturelle Unterschiede keine Barrieren, sondern Brücken sind. „Es geht nicht nur um den Dialog, es geht darum, sich auf den Dialog zu stützen und ihn in Handlungen umzusetzen, die unseren Gemeinschaften und der Gesellschaft insgesamt zugute kommen“, bekräftigten Vitalina und Rabab gemeinsam. „Dies sind keine futuristischen Gespräche, die Jugend ist nicht die Zukunft – die Jugend ist hier, jetzt, in diesem Moment. Und sie bietet Inspiration für eine Gegenwart der Versöhnung und des Friedens für uns alle.“