Führende jüdische und muslimische Persönlichkeiten kamen am Montag in Bosnien-Herzegowina zusammen, um am 27. Jahrestag gemeinsam dem Massaker von Srebrenica zu gedenken.
In einer Zeit, in der Antisemitismus und Islamfeindlichkeit in Europa zunehmen, kamen Imame und Rabbiner des von KAICIID unterstützten Muslim Jewish Leadership Council Europe (MJLC) zusammen, um ein starkes Zeichen für interreligiöse Zusammenarbeit, Zusammenhalt und Einheit zu setzen.
„Solidarität mit dem Schmerz unserer muslimischen Schwestern und Brüder zu zeigen, bedeutet, unsere Liebe und Solidarität mit ihnen zu zeigen“, erklärte Oberrabbiner David Rosen, Ehrenmitglied des MJLC und Mitglied des KAICIID-Direktoriums, der bei der Zeremonie anwesend war.
„Ich hoffe, dass eine solche jüdisch-muslimische Pilgerreise zu einem Ort, an dem ein so schreckliches Blutbad angerichtet wurde und an dem Muslime im Besonderen, aber auch die Menschheit im Allgemeinen, gelitten hat, die guten muslimisch-jüdischen Beziehungen vertiefen wird“, so Rabbi Rosen weiter.
Die jährliche Gedenkveranstaltung in Srebrenica erinnert an die Ermordung von mehr als 8.000 bosniakischen (bosnisch-muslimischen) Männern und Jungen in und um die Stadt während des Bosnienkriegs. Das Massaker, das am 11. Juli 1995 begann und mehr als zehn Tage andauerte, wurde vom Internationalen Gerichtshof als Völkermord eingestuft und von den Vereinten Nationen als das schlimmste Verbrechen auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet.
Heute, fast drei Jahrzehnte nach dem Massaker von Srebrenica, ist religiöser Hass nach wie vor eine allgegenwärtige Bedrohung für Frieden und Stabilität in Europa. Jüngste Untersuchungen zeigen, dass Hassverbrechen gegen Musliminnen und Muslime in den letzten Jahren auf dem Kontinent zugenommen haben. Gleichzeitig haben antisemitische Angriffe gegen die jüdischen Gemeinden in Europa den höchsten Stand seit zehn Jahren erreicht.
Angesichts dieser neuen Welle religiöser Intoleranz ist es wichtiger denn je, sich an die Gräueltaten der Vergangenheit zu erinnern und daraus Lehren zu ziehen, so führende Glaubensvertreterinnen und -vertreter.
„Wir leben an einem Wendepunkt unserer Zeit. Wir beobachten den Anstieg von Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie und Antisemitismus im öffentlichen Diskurs“, sagte Mufti Dr. Nedzad Grabus, Mufti von Sarajewo und Co-Vorsitzender des MJLC.
„Es gibt viele Anzeichen dafür, dass unsere Gesellschaften mit verschiedenen Herausforderungen und Schwierigkeiten bei der Akzeptanz neuer Realitäten konfrontiert sind. Wir müssen uns deshalb bewusst machen, dass Populismus zur Entmenschlichung des anderen führt“, fügte Mufti Grabus hinzu, der den Besuch in Srebrenica begleitete.
Neben dem Gedenken an die Opfer des Massakers trägt der Besuch dazu bei, das Bewusstsein für die Gefahren von religiöser Diskriminierung und Hass zu schärfen. Diese können schnell eskalieren, wenn sie nicht unter Kontrolle gebracht werden, wie die tragischen Ereignisse von Srebrenica gezeigt haben.
Diese Botschaft ist besonders wichtig in Bosnien-Herzegowina, wo die ethnischen Spannungen wieder zunehmen. In den letzten Wochen haben die Vereinten Nationen die politischen Führungskräfte des Landes angesichts der wachsenden Angst vor neuer Gewalt aufgefordert, „die Rhetorik und die Politik der Spaltung zu beenden“.
Der im Jahr 2016 gegründete „Muslimisch-Jüdische Führungs-Rat“ wurde mit Unterstützung von KAICIID ins Leben gerufen, um Vorurteilen, Desinformation und Gewalt gegen Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens entgegenzuwirken.
Die Initiative vereint hochrangige Persönlichkeiten aus den muslimischen und jüdischen Gemeinschaften Europas, um die zunehmende religiöse Intoleranz zu bekämpfen und die Politik in Bezug auf die Religions- und Glaubensfreiheit zu beraten.
In der Vergangenheit hat der Rat, der sich zu gleichen Teilen aus jüdischen und muslimischen Mitgliedern zusammensetzt, Workshops zur Bildung von Bündnissen organisiert. Außerdem hat er sich angesichts potenzieller Regulierungen, wie zum Beispiel nationaler Verbote bestimmter Formen des rituellen Schächtens, für religiöse Freiheiten eingesetzt.
Der MJLC hat sich auch um interreligiöse Lösungen nach religiös motivierten Angriffen bemüht, indem er den Opfern der Schießerei in der Synagoge in Halle im Jahr 2019 gedachte und sein Bedauern über die Schändung muslimischer Gräber in Slowenien im Jahr 2021 zum Ausdruck brachte.
Sowohl die muslimischen als auch die jüdischen Gemeinschaften in Europa haben in der jüngsten Vergangenheit enorme Grausamkeiten und Traumata ertragen müssen. Die Anprangerung der Umstände, die zu diesen Gräueltaten geführt haben, ist für die Angehörigen beider Religionen ein wichtiges Mittel, um ein Gefühl des Friedens, der Sicherheit und der Zugehörigkeit zu bewahren.
„Der MJLC ist sich bewusst, dass Kampagnen für die Rechte von Minderheitengruppen am wirkungsvollsten sind, wenn religiöse Gemeinschaften füreinander einstehen“, erläuterte Frances Rose, Programmverantwortliche bei KAICIID. „Wenn muslimische und jüdische Repräsentanten gemeinsam trauern und diese Gräueltaten verurteilen, stärkt das nicht nur die Bindung zwischen den Gemeinschaften, sondern unterstreicht auch, dass es in Europa universelle rechtliche und moralische Standards gibt, die nicht verworfen werden können. Angesichts des Krieges in der Ukraine, der Millionen von Menschen in Gefahr bringt, ist dies ein Aufruf an die europäischen Bürgerinnen und Bürger, wegen der Gefahr von Hassverbrechen gegen bestimmte religiöse, ethnische oder kulturelle Gruppen besonders wachsam zu sein und im Falle eines solchen Verbrechens einzuschreiten.“
Vor diesem Hintergrund reiste eine Delegation von MJLC-Vorstandsmitgliedern Anfang dieses Jahres nach Polen, um an der Gedenkfeier zum Holocaust-Gedenktag 2022 in Auschwitz-Birkenau, dem ehemaligen Konzentrationslager der Nazis, teilzunehmen.
Die Reise war, wie auch der Besuch in Srebrenica, Teil des gemeinsamen Gedenkens des Rates an muslimische und jüdische Tragödien, um ein deutliches Zeichen der Solidarität zwischen den beiden Religionen zu setzen.
Das KAICIID-Programm für Europa, zu dem auch der muslimisch-jüdische Rat gehört, zielt darauf ab, den interreligiösen Dialog und die interreligiöse Zusammenarbeit zu fördern, indem es religiöse Führerinnen und Führer, Lehrkräfte, Dialogfachleute, politische Entscheidungsträgerinnen und -träger sowie andere Interessengruppen zusammenbringt.
Durch die Förderung interreligiöser Aktivitäten fungiert KAICIID als Vermittler für die bereichs- und konfessionsübergreifende Kommunikation, um Spaltungen zu überwinden, die Politik zu gestalten und den sozialen Zusammenhalt in ganz Europa zu stärken.