Das Viertel Kovaipudur genießt einen guten Ruf.
Es liegt in den Ausläufern des Sahyadri-Gebirges und ist Teil der Stadt Coimbatore im indischen Bundesstaat Tamil Nadu. Hier weht eine sanfte Brise aus den Bergen und der Monsunregen sorgt in dieser ruhigen Umgebung für üppige Vegetation. Die Einheimischen wissen, dass es in Kovaipudur kühler ist als im Rest der Stadt.
Kovaipudur ist aber auch als Sitz des Shanti Ashram bekannt, eines internationalen Zentrums für Entwicklung, Lernen und Zusammenarbeit. Es wurde im Jahr 1986 von Dr. M. Aram und seiner Frau, Minoti Aram, den Eltern von Dr. Kezevino Aram, nach dem gandhianischen Prinzip des Sarvodaya (Fortschritt für alle) gegründet.
Den Aufzeichnungen des Shanti Ashrams zufolge wirkt sich seine soziale Arbeit auf mehr als 250.000 Menschen in Coimbatore und Umgebung aus. Dr. Kezevino Aram, Mitglied des KAICIID-Direktoriums, ist seit dem Jahr 2014 Präsidentin des Ashrams. Mit ihrem praxisorientierten, kooperativen Ansatz hat Aram zahlreiche Herausforderungen und Krisen in ihrer Gemeinde in Angriff genommen – zuletzt die Coronavirus-Pandemie.
Sie hat ein Konzept für Dialog und die Entwicklung politischer Strategien entwickelt, das darauf beruht, verschiedenen Stimmen aus unterschiedlichen Gemeinschaften Ausdruck zu verleihen. Mit besonderem Augenmerk auf die Einbeziehung von Frauen und Kindern hat Aram dazu beigetragen, Shanti Ashram als ein Zentrum für Lernen, Entwicklung und gemeinsames Handeln zu etablieren. Der Ashram befasst sich mit Ungleichheit, leistet in Katastrophenfällen Hilfe und bringt Führungskräfte für die zukünftige Entwicklung hervor.
Aram studierte in Coimbatore Medizin und arbeitete danach mehrere Jahre lang als Ärztin im Shanti Ashram. Anschließend absolvierte sie einen Masterstudiengang in Public Health an der Universität Harvard mit den Schwerpunkten Kindergesundheit und internationale Gesundheit.
Nach ihrer Rückkehr in den Shanti Ashram war sie maßgeblich an der Weiterentwicklung seiner Strukturen beteiligt, um Armut zu bekämpfen, die Gesundheitsversorgung zu sichern, Führungskräfte zu schulen und interreligiöse Dialogangebote zu schaffen. Für Aram sind die Gründungsprinzipien des Shanti Ashram und sein 36-jähriges Bestehen auch heute noch eine Inspiration für ihre Arbeit.
„Wir wurden auf der Grundlage gandhianischer Prinzipien gegründet, und Gandhi sagte, dass unser Glaube uns nicht erlaubt, allein zu sprechen.“
„Es reicht nicht aus, nur schöne Worte zu sprechen, wir müssen den nächsten Schritt tun: nützliche Aktionen in der Gemeinschaft setzen“, sagt sie. „Wir müssen eine Verbindung zwischen dem finden, was wir denken, was wir sehen und was wir gemeinsam tun.“ Dr. Arams Vater gründete den Ashram mit der Idee, dass dieser sich mit globalen Problemen befassen und die Bedürfnisse der gefährdeten Gemeinschaften in Coimbatore und Umgebung erfüllen könnte.
In Zusammenarbeit mit den Interessenvertreterinnen und -vertretern der Gemeinschaft bietet der Shanti Ashram Programme an, die sich auf Alphabetisierung, Ernährungssicherheit, Bildung, Berufsausbildung, psychisches Wohlbefinden, interreligiösen Dialog und Gesundheitsversorgung konzentrieren.
„Das Ausmaß dieser Probleme erfordert Zusammenarbeit“, sagt Aram. „Probleme müssen als gemeinsame Herausforderungen, die eine Zusammenarbeit auf globaler, regionaler und lokaler Ebene erfordern, betrachtet werden.“
Die Betonung der Zusammenarbeit beruht auf dem Bekenntnis des Shanti Ashrams zur Verbundenheit der Menschen untereinander; auf der Überzeugung, dass jeder Mensch etwas zu bieten hat, und auf dem Bewusstsein, dass demokratische Institutionen gezeigt haben, dass die Zusammenarbeit ein bewährter Weg ist, um Fortschritte zu erzielen.
„Shanti Ashram ist ein Ort, an dem man sich für soziales Handeln trifft“, sagt Aram. „Wir können die besten politischen Strategien entwerfen, aber wir müssen von den Menschen an vorderster Front – oft Frauen – lernen, die an der Schnittstelle zwischen Fakten und Erfahrungen arbeiten. Wir sind nicht nur aufgefordert, gemeinsam zu denken, sondern auch herausgefordert, auf den jeweiligen Vorteilen der anderen aufzubauen. Stärken müssen gebündelt und Herausforderungen gemeinsam angegangen werden“, erklärt sie.
Diese Bedeutung der Zusammenarbeit hat sich für Aram bei der Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie deutlich herauskristallisiert.
„Wir befinden uns in einer Situation, wie es sie nur einmal in diesem Jahrhundert gibt“, so Aram. „Zusammenarbeit hilft uns, die Krise zu bewältigen und gestärkt und widerstandsfähiger, aber auch vertrauensvoller aus ihr hervorzugehen.“
Dr. Aram und der Shanti Ashram sind während der Pandemie besonders aktiv gewesen. Die Regierung des Bundesstaats lud Aram ein, dem Expertengremium beizutreten, das zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie auf nationaler Ebene gebildet wurde. Auf lokaler Ebene halfen Aram und das Frauengesundheitsteam des Ashrams bei der Organisation des Spendenaufrufs „Marathon der Solidarität“, der von Papst Franziskus mit 20.000 Euro unterstützt wurde.
Shanti Ashram hat mit der Essensausgabe, seinen medizinischen Einrichtungen und den Ausbildungsangeboten für Unternehmerinnen während der Pandemie 50.000 Kindern und ihren Familien in den Dörfern um Coimbatore geholfen. Außerdem wurden über 3.000 Menschen geimpft. Für Aram zeigt dies, wie wichtig es ist, Religionsgemeinschaften bei der Reaktion auf Krisen und endemische Probleme in jeden Schritt des Politik- und Umsetzungsprozesses einzubeziehen.
„Wir müssen aufhören, die Religionsgemeinschaften als letztes Glied in der Kette zu betrachten. Während der Pandemie hat die Weltgemeinschaft die Vorzüge der Religionsgemeinschaften, ihre moralische Stimme und ihren Beitrag zu gemeinsamen Lösungen erkannt“, so Aram. „Die Frage ist, ob wir unsere Lektion lernen und dies in Zukunft häufiger und offener tun werden.“
Aram hat sich von Anfang vorgenommen, sich mit ihrer Ausbildung als Ärztin für die grundlegenden Bedürfnisse von Kindern und die Grundrechte von Frauen einzusetzen.
„Meine Kernkompetenz ist nicht nur das Gesundheitswesen – es sind die Kinder! Sie sind meine Lebensaufgabe“, so Aram.
Als Mitglied des KAICIID-Direktoriums freute sie sich, dass das Dialogzentrum im Juli 2019 eine Absichtserklärung mit Arigatou International unterzeichnete, um bei gemeinsamen Dialogtreffen und Initiativen mit besonderem Fokus auf Kinder und Jugendliche zusammenzuarbeiten.
Seitdem hat eine weltweite Pandemie deutlich gemacht, wie wichtig es ist, zu kooperieren, um die Rechte von Kindern zu wahren und zu schützen und für ihre Grundbedürfnisse zu sorgen. „Die Pandemie hat es mir ermöglicht, verschiedene Teile meines Fachwissens miteinander zu verknüpfen, indem ich Führungskompetenzen und bestimmte Aspekte der öffentlichen Gesundheit miteinander verband.“
„Man sagt: ‚Um ein Kind großzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf‘. Doch im 21. Jahrhundert haben wir den Eltern die Verantwortung allein übertragen. Seit der Pandemie handeln wir wieder nach diesem alten Sprichwort“, so Aram.
In Indien wirkten sich die pandemiebedingten Lockdowns nachteilig auf die Kinder aus, da sie weder die Schule besuchen konnten noch Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen hatten. „Die Schule ist hier nicht nur ein Bildungszentrum“, sagt Aram. „Sie ist eine gesellschaftliche Einrichtung, die Fähigkeiten und Wissen für den Übergang ins Erwachsenenleben vermittelt. Wenn der Unterricht gestört wird, wird alles gestört.“
43 Prozent der indischen Bevölkerung sind Kinder. Das heißt, fast die Hälfte der Bevölkerung des Landes lief Gefahr, wichtige Entwicklungsmaßnahmen und Wachstumschancen zu verpassen. Unerschrocken nutzte Aram die Gelegenheit, ihre Erfahrungen mit Frauen und Kindern vor Ort in Coimbatore in die Beratung der lokalen und nationalen Regierungen einfließen zu lassen.
„Im Ashram haben wir Kinder und die Stimmen der Kinder in alles, was wir tun, integriert“, erklärt sie. Für ihren Einsatz in den letzten zwei Jahrzehnten und ihre wichtige Arbeit während der Pandemie wurde Aram kürzlich mit einem Alumni-Preis der Harvard T. H. Chan School of Public Health der Universität Harvard ausgezeichnet.
Doch Auszeichnungen und Anerkennung bereiten Aram keine Freude, denn diese schöpft sie aus der Hilfe für die Schwächsten. „Als die Schulen geschlossen und alle Dienste eingestellt wurden, musste die Gemeinschaft einspringen. Shanti Ashram hatte die Möglichkeit, diese Probleme gemeinsam mit Frauen und Kindern, mit den Regierungen und mit verschiedenen Religionsgemeinschaften anzugehen,“ so Aram.
„Ich hätte mir keine bessere Gelegenheit wünschen können, um mein Fachwissen und meine Erfahrung in die Praxis umzusetzen.“