Psychodrama ist eine Disziplin, die Techniken der darstellenden Kunst einsetzt, um Wege zu gegenseitigem Verständnis und sozialem Zusammenhalt zu schaffen. Zwei ehemalige Studierende haben in Saudi-Arabien eine einzigartige Initiative namens „Theater für Veränderung“ ins Leben gerufen.
Shahad Altukhaim und Ameera Alnejaim erzählen, dass die Fähigkeiten, die sie während ihrer Ausbildung in London und New York erworben haben, eine neue und unbekannte Methodik in ihr Heimatland bringen, die darauf abzielt, Zusammenhalt über geschlechtliche, soziale und religiöse Barrieren hinweg zu fördern.
Das Projekt wird von KAICIID durch seine Initiative Dialogue-60 unterstützt. Es fördert interreligiösen und interkulturellen Dialog und Zusammenarbeit in der arabischen Welt, und hat bisher knapp 80 Männer und Frauen aus verschiedenen Altersgruppen zusammengebracht.
„Für das Erlernen von Psychodrama gibt es kein anderes Projekt oder eine spezielle Institution in Saudi-Arabien, nicht einmal im gesamten Nahen Osten“, berichtet Altukhaim.
Die 27-jährige Absolventin der London School of Psychodrama hat sich intensiv mit Fragen der psychischen Gesundheit beschäftigt und auch als Podcasterin und Lebensberatin gearbeitet. Sie meint, dass sich beide Bereiche, Psychotherapie und darstellende Kunst, in ihrem Heimatland erst entwickeln müssen. Es war für sie sowohl eine Herausforderung als auch ein Bedürfnis, das Potenzial für Dialog und gegenseitiges Verständnis auszuschöpfen.
Die Anwendung von Psychodrama als Technik der Gruppentherapie dient als kreative und vielseitige Methode zur Förderung einer Kultur des Dialogs, um positive Veränderungen sowohl innerhalb als auch zwischen Gemeinschaften zu bewirken.
„Verschiedene Methoden zur Behandlung der psychischen Gesundheit sind hier nicht üblich“, erklärt Altukhaim. „Wir verfügen zwar über grundlegende Arten von Therapie und wir haben ein Psychologiestudium im Land, aber es gibt keine Ausbildungen für Therapien in verschiedenen Bereichen, die etwas Kreatives wie Tanz, Musik oder Poesie beinhalten. Das könnten eigentlich sehr kraftvolle Werkzeuge sein.“
Kunst und Kultur entwickeln sich in Saudi-Arabien nur langsam, führt Altukhaim aus. „Der Bereich Kunst und Kultur steckt noch in den Kinderschuhen, aber was wir machen, ist nicht nur Kunst und Kultur. Wir verschmelzen zwei Bereiche und das gab es hier bisher nicht.“
Von der Resonanz auf ihre Initiative waren die beiden jungen Sozialunternehmerinnen positiv überrascht.
„Wir haben von Anfang an großes Interesse festgestellt“, so Alnejaim, die am Hudson Valley Psychodrama Institute in New York studiert hat.
„Viele Leute waren zunächst an Theater interessiert“, erinnert sie sich. „Sie wussten nicht genau, was wir anbieten, aber sie wussten, dass es mit Theater zu tun hat. Dann kamen immer mehr Leute und baten uns, mehr Veranstaltungen abzuhalten oder ein bestimmtes Thema zu erforschen. Das war eine Überraschung für uns, aber es zeigte uns auch, dass es großes Interesse und einen Hunger nach dieser Art von Verbindung gibt, mit der wir arbeiten.“
Die 26-jährige Alnejaim, die auch ein Diplom in kulturellem und internationalem Dialog hat, koordinierte eine Sitzung zum Thema Psychodrama als Teil eines KAICIID-Dialogtrainings im Jahr 2019 für Jugendliche in der arabischen Region.
„Das ist nur ein Beispiel für eine Gruppe, mit der man arbeiten kann. Man kann das Projekt auch in Krankenhäusern, Gefängnissen, Schulen, Firmen und in individuellen Settings abhalten. Hier haben wir unser Projekt auf die spezifische Gemeinschaft zugeschnitten, in der wir uns befinden.“
Frauen sind nicht immer in der Lage, andere Rollen einzunehmen als die, die ihnen von der Gemeinschaft, in der sie leben, zugewiesen werden, bestätigen die Projektleiterinnen. Deshalb sind die Rollenspiele, die im Psychodrama vorkommen, für sie besonders wichtig.
„Aktivitäten wie Schauspiel, Theater, Musik und Kino sind hier weder für Männer noch für Frauen vorgesehen. Gerade für Frauen ist das viel einschüchternder und herausfordernder, und ich spreche aus eigener Erfahrung“, sagt Altukhaim.
„Ich persönlich habe auch von mehreren anderen Frauen gehört, dass es für sie schwierig ist, sich kreativ auszudrücken, weil ihre Familien involviert oder gesellschaftliche Erwartungen damit verbunden sind. Es sind Konnotationen und Vorurteile im Spiel. Deshalb ist es so wichtig, dass wir ihnen einen sicheren Raum bieten, in dem sie sich ausdrücken und ausleben können.“
Laut Alnejaim ist es wichtig, Frauen zu ermöglichen, sich in sicherem Rahmen austauschen zu können, verschiedene Rollen zu erleben und füreinander da zu sein.
„Es hat viel damit zu tun, die Ausgegrenzten einzubeziehen“, ist sie überzeugt.
Die Gruppensitzungen des Projekts, die auf Spontaneität und Kreativität setzen, beruhen auf Inklusion und Dialog.
„Wir haben Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit verschiedenen Glaubensrichtungen, sozialen Hintergründen und Ethnien, Menschen mit Behinderungen“, so Alnejaim. „Wenn wir uns auf eine bestimmte Gruppe konzentrieren würden, würden wir andere ausschließen und unser Ziel aus den Augen verlieren, für Vielfalt und Abwechslung zu sorgen.“
Jedes Treffen beginnt mit einem allgemeinen Thema. Das spezifische Thema des Treffens wird dann oft von den Anwesenden gewählt oder entwickelt sich im Verlauf der Sitzung.
Der Konflikt zwischen älteren und jüngeren Generationen über ihr Verständnis von Traditionen und Freiheiten war zum Beispiel das Thema einer Veranstaltung. Andere Sitzungen beschäftigten sich mit Spiritualität.
„Wir sprechen über Zugänge zu Spiritualität, ohne dass man selbst spirituell sein muss“, erklärt Altukhaim. „Viele Menschen hier haben zwar einen Bezug zu Religion, aber nicht wirklich eine eigene Verbindung zum Gefühl des Göttlichen.“
Auch Trauer gehörte zu den Themen, die beleuchtet wurden.
„Trauerarbeit ist sehr kraftvoll und wir hielten sie zu Beginn des Jahres 2021 für sehr relevant, nach all dem Schmerz, der letztes Jahr durch COVID-19 verursacht wurde“, erzählt Altukhaim. „Wir arbeiteten mit einer großen Gruppe, in der die meisten Menschen sich selbst im Herbst, mit dem Fallen der Blätter, verorteten. Viele von ihnen hatten Trauer, Kummer und Isolation durchgemacht.“
Das Coronavirus zwang die beiden Organisatorinnen, mehrere Termine ihres Projekts wegen der Maßnahmen zur Eindämmung des Virus zu verschieben.
Das Bedürfnis der Menschen, sich durch persönliche Gespräche näher zu kommen und ihre Emotionen zu teilen, ist jedoch unbestreitbar, so die Organisatorinnen. Das liegt sowohl an den Veränderungen in der Gesellschaft als auch an den Auswirkungen der Pandemie.
Altukhaim und Alnejaim meinen, das „Theater für Veränderung“ könnte in Zukunft seine Reichweite noch weiter ausdehnen, um Gruppen wie junge Mädchen aus benachteiligten Verhältnissen einzubeziehen.