„Die Worte eines Menschen haben eine ungeheure Macht, sie können aufbauen und zerstören, Leben geben und Leben nehmen. In den abrahamitischen Religionen war das Wort ein wesentlicher Teil der Erschaffung der Welt. Es waren Worte, die diese Welt erschaffen haben und es sind Worte, die diese Welt zerstören werden“, sagt Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, Oberrabbiner von Moskau und Mitglied des von KAICIID unterstützten European Muslim and Jewish Leadership Council (MJLC).
Mit dieser Warnung eröffnete Goldschmidt die „Expertenkonsultation zur Bekämpfung von Hassrede mit interreligiöser Zusammenarbeit und partnerschaftlichen Netzwerken“, die von KAICIID und dem European Council of Religious Leaders/ Religions for Peace- Europe (ECRL/RfP Europe) mit Unterstützung des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) organisiert wurde.
Das Ziel war ein Austausch mit Expertinnen und Experten, die viel Erfahrung mit Hassrede und ihren negativen Auswirkungen gesammelt hatten, um zu besprechen, wie die Bemühungen, Hassrede entgegenzuwirken, in ganz Europa funktionieren.
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„Hassrede gibt es praktisch überall, aber wir dürfen sie nirgendwo tolerieren“, so Goldschmidt.
KAICIID hat einige Initiativen auf den Weg gebracht, um Religionsgemeinschaften und Führungspersönlichkeiten bei der Bekämpfung von Hassrede zu unterstützen. Die Hilfe reicht von der Erstellung eines Leitfadens zur Überprüfung und Analyse von Hassrede bis hin zur Veranstaltung dieser Konsultation am 20. April.
„Religiöse Akteurinnen und Akteure sowie interreligiöse Führerinnen und Führer müssen bei der Bekämpfung von Hassrede aktiv werden“, meinte Faisal bin Muaammar, Generalsekretär von KAICIID.
Konkret sprach er von der „Förderung eines Umfelds für friedliches Zusammenleben“ und dafür „interreligiösen und interkulturellen Dialog“ zu nutzen.
Die Anwesenden war sich einig, dass Hassrede überall auf dem Vormarsch ist.
„Seien wir uns im Klaren: Heutzutage gibt es einen beunruhigenden Anstieg von Fremdenfeindlichkeit und Hass in der ganzen Welt und insbesondere in Europa“, berichtete Dr. David Fernandez Puyana, ständiger Beobachter der UN-Universität für Frieden (UPEACE).
Dr. Kishan Manocha, Leiter der Abteilung für Toleranz und Nichtdiskriminierung im OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR), betonte, dass dies nicht neu sei. „Im Laufe der Jahre waren die Ziele vielfältig, aber jetzt ist Hassrede im Mainstream angekommen.“
Die Sprache der Ausgrenzung und Marginalisierung hat sich in den letzten Jahren in die Medienberichterstattung, in digitale Plattformen und in die nationale Politik eingeschlichen, was durch die Coronavirus-Pandemie noch verschärft wurde. Insbesondere wies Manocha auf eine besorgniserregende Zunahme von Hassrede im Internet hin.
Dr. Daniel Höltgen, Sonderbeauftragter des Europarats für antisemitischen und antimuslimischen Hass und Hassverbrechen, ergänzte: „Hassrede im Internet vergrößert den Schaden, der durch Worte angerichtet wird und führt oft zu Hassverbrechen.“
Er wies auf den Unterschied zwischen Anstiftung zu Gewalt und freier Meinungsäußerung hin und warnte, dass zwar nicht jede Hassrede zu Gewalt aufstachelt, dass sie aber, wenn sie unwidersprochen bleibt, zu Gewalt oder Gräueltaten gegen marginalisierte Gruppen führen kann. Höltgen erinnerte daran, dass Meinungsfreiheit kein absolutes Recht ist.
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KAICIID hat sich mit Veranstaltungen und Programmen im Kampf gegen Hassrede engagiert.
„Sprache darf beleidigen, schockieren und verstören, aber sie darf nicht gegen Grundrechte oder Diskriminierungsverbote verstoßen. Wir sind der Meinung, Regierungen müssen sicherstellen, dass Gesetze gegen Hassrede auf allen Ebenen gewissenhaft durchgesetzt werden“, erklärte Höltgen. Der Europarat hat Empfehlungen zum Umgang mit Online-Hassrede entwickelt.
Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) gibt ihrerseits politische Empfehlungen zur Bekämpfung von Hassrede, Antisemitismus oder Diskriminierung der muslimischen Bevölkerung ab. Laut der Vorsitzenden von ECRI, Prof. Maria Daniella Marouda, basieren diese Empfehlungen auf einer länderspezifischen Beobachtung und der Expertise von Regierungen, religiösen Führerinnen und Führern sowie NGOs.
Neben den politischen Empfehlungen gibt es auch zahlreiche Initiativen für interreligiösen Dialog, die sich mit Hassrede im Internet, insbesondere unter Jugendlichen, befassen.
Ein hervorgehobenes Programm war das No Hate Speech Movement Italy, das sich auf Menschenrechtsbildung für Jugendliche konzentriert. Alessandra Coppola, die stellvertretende Koordinatorin, berichtete, dass Jugendliche ein integraler Teil für die Bekämpfung von Hassrede und die Erarbeitung und Förderung alternativer Narrative über das „Andere“ sind.
Eine weitere Initiative ist die Kampagne ALTer Hate, die die zuvor genannten Ziele verfolgt. Emina Frjlak, Vorstandsmitglied des interreligiösen Jugendnetzwerks von Religions for Peace Europe, führte aus, wie sich die Kampagne auf Bildung, Sensibilisierung und das Eintreten für die Akzeptanz von Vielfalt und Inklusion durch alternative Narrative konzentriert.
Christie J. Edwards, stellvertretende Leiterin der Abteilung für Toleranz und Nichtdiskriminierung im OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR), berichtete von der Verschärfung der Gefahren von Hassrede durch die Pandemie.
„Das Coronavirus hat dem 'Sündenbock-Denken' Auftrieb verliehen.“ Zu diesen Beschuldigungen kommt es, wenn Menschen bestimmter Ethnien, Hintergründe, Klassen oder Religionen für die Pandemie oder die damit verbundenen Auswirkungen verantwortlich gemacht werden.
„Einige dieser Gruppen waren schon vor Beginn der Pandemie in einer verwundbaren Position und diese hat sich während der Pandemie nur noch verstärkt“, so Edwards.
Die Hauptverantwortung für die Bekämpfung von Hassrede und Sündenbock-Narrativen liegt bei den Regierungen, doch „religiöse Akteurinnen und Akteure und Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft bieten besonders wichtige Unterstützung, vor allem in solch unbeständigen Zeiten“, meinte Edwards.
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten für religiöse Gemeinschaften und Führungspersönlichkeiten, gemeinsam gegen Hassrede in all ihren Formen aufzutreten.
Dr. Henri Nickels, politischer Koordinator des Referats für institutionelle Zusammenarbeit und Netzwerke bei der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA), fügte hinzu: „Niemand ist gegen Hass immun. Dieses Thema kennt keine Grenzen.“
Er betonte, dass es zur Begrenzung seiner Ausbreitung wichtig sei, klare Parameter zu verwenden, um Hass zu überprüfen, zu melden und aufzuzeichnen; Hass strafrechtlich zu verfolgen, die Täterinnen und Täter zur Rechenschaft zu ziehen; den Opfern Solidarität und Unterstützung zu bieten und über Handlungen des Hasses aufzuklären.
Laut Dr. Mark Owen, Generalsekretär des European Council of Religious Leaders, sind „die Ursachen von Hassrede extrem komplex und deshalb müssen unsere Antworten ebenso komplex und nuanciert sein, wenn wir die Hoffnung haben, dass sie effektiv sind.“
Pfarrer Dr. Thomas Wipf, Präsident von ECRL/RfP Europe, schloss sich Owen an. Er sagte, „dieses Thema kann nur gemeinsam von einem Netzwerk angegangen werden“.
Wipf hat die Hoffnung, dass religiöse Akteurinnen und Akteure, die Zivilgesellschaft und Regierungen gemeinsam ein wirksames Bollwerk gegen Hass bilden können. „Ich bin überzeugt, dass die interreligiöse Zusammenarbeit in diesem Bereich viel Potenzial hat.“
Oberrabbiner Goldschmidt sprach von Worten, die den anderen entmenschlichen, zu Gewalt aufrufen und die Welt gefährden. Letztendlich sind es aber Worte, die Hassrede in all ihren Formen entgegenwirken können, waren sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer einig.
„Oft ist es eine kleine Minderheit, die am lautesten schreit und deren negative Erzählungen gehört werden“, so Owen. „Wir müssen aktiv werden und strategisch vorgehen, um positive Gegennarrative anzubieten.“