Die Stimmen afghanischer Frauen nicht in die aktuellen Friedensverhandlungen einzubeziehen, wäre ein schwerer Schlag für Friedensstifterinnen auf der ganzen Welt. Religiöse Führerinnen und Führer können Abhilfe schaffen.
Die internationale Gemeinschaft feierte den März als Monat der Frauengeschichte, doch Expertinnen und Experten für Frauenrechte befürchten, dass die fehlende Beteiligung von Frauen an den aktuellen Friedensverhandlungen in Afghanistan fast zwei Jahrzehnte Fortschritt bei der Gleichstellung der Geschlechter zunichtemachen könnte. Dies wird Auswirkungen auf die Rechte der Frauen in der ganzen Welt haben.
Afghanistan leidet seit über zwei Jahrzehnten unter einem gewalttätigen bewaffneten Konflikt. Letztes Jahr hat die US-Regierung ein Abkommen mit den Taliban ausgehandelt, um den jahrzehntelangen Krieg zu beenden. Im Rahmen des aktuellen Abkommens hat die internationale Gemeinschaft einen dauerhaften Waffenstillstand im Austausch für den Abzug der ausländischen Truppen bis zum 1. Mai gefordert.
Laut Belquis Ahmadi, Leitende Programm-Managerin für Afghanistan am United States Institute of Peace (USIP), wurden die Rechte der Frauen von der internationalen Gemeinschaft weitgehend ignoriert und das Thema den Ergebnissen der innerafghanischen Verhandlungen überlassen. Der Stichtag 1. Mai naht und Ahmadi befürchtet, dass afghanische Frauen als Verliererinnen dastehen werden.
Die Unterstützung für die Gleichberechtigung der Frauen in Afghanistan erfordert einen Ansatz von höchster Ebene nach unten an die Basis sowie umgekehrt. Religionsgemeinschaften sind hier besonders geeignet zu helfen.
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Vor dem Jahr 2001 waren Frauen in der Öffentlichkeit fast völlig abwesend. Doch heute habe sich das Umfeld stark verändert, so Ahmadi. „Frauen sind in jedem Bereich der Gesellschaft präsent. Tausende Frauen arbeiten für die Regierung, in der Privatwirtschaft, für NGOs, als Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen, Unternehmerinnen, Politikerinnen, Richterinnen und Anwältinnen.“
Sie wurden jedoch bei den Friedensverhandlungen nicht repräsentiert. Trotz des zunehmenden Drucks von internationalen Organisationen und Menschenrechtsgruppen, Frauen in die innerafghanischen Gespräche im September 2020 einzubeziehen, waren laut Ahmadi nur vier Frauen in dem 21-köpfigen Verhandlungsteam der afghanischen Regierung vertreten. Unter den 21 Vertretern der Taliban waren gar keine Frauen.
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Laut der afghanischen Anwältin für Frauenrechte, Zarqa Yaftali, ist die Präsenz von Frauen im Verhandlungsteam der Regierung eine positive Entwicklung, „aber sie ist nicht genug“.
„Afghanistans Erfolgsbilanz bei der Einbeziehung von Frauen ist düster. Zwischen den Jahren 2005 und 2020 waren Frauen von fast 80 Prozent der Treffen und Verhandlungen im Friedensprozess ausgeschlossen“, erklärte sie kürzlich bei einer Debatte des UN-Sicherheitsrats über Frauen, Frieden und Sicherheit.
Diese Zahlen spiegeln einen entmutigenden globalen Trend wider. Nach Angaben des US-amerikanischen Rats für auswärtige Beziehungen stellten Frauen in den letzten zwei Jahrzehnten im Durchschnitt nur 13 Prozent der Verhandlungsführer und 6 Prozent der Vermittler in den großen Friedensprozessen weltweit. Darüber hinaus bezieht sich die Mehrheit der 1.860 Friedensabkommen, die seit 1990 geschlossen wurden, nicht auf die Konflikterfahrung von Frauen oder ihre Arbeit nach dem Konflikt.
Yaftali führt aus, dass die Perspektive von Frauen in Friedensverhandlungen äußerst wichtig ist, da Konflikte Frauen oft am härtesten treffen. „Frauen und Kinder bilden die Mehrheit der vier Millionen Binnenflüchtlinge. Außerdem haben 87 Prozent der afghanischen Frauen bereits mindestens eine Form von geschlechtsspezifischer Gewalt erlebt.“
Viele religiöse Führungspersönlichkeiten sind an vorderster Front dieses Konflikts tätig und haben mit den Folgen von humanitären Krisen und Gewalt zu kämpfen. In einer konservativen Gesellschaft wie der afghanischen, in der der Islam die Kultur, Traditionen und Bräuche prägt, ist Religion ein wesentlicher Bestandteil, um die Veränderungen der Einstellungen und Gepflogenheiten zu erreichen.
Palwasha L. Kakar, Leitende Programm-Managerin für Religion und Inklusive Gesellschaften am USIP, ist überzeugt, dass es wichtig ist, mit religiösen Führerinnen und Führern zusammenzuarbeiten, die in weiten Teilen der afghanischen Öffentlichkeit Glaubwürdigkeit und moralische Autorität genießen.
„Religiöse Führerinnen und Führer gehören zu den traditionellen Autoritäten Afghanistans, die lokale Entscheidungen treffen, insbesondere was Frauenrechte angeht. Sie können effektiv eingebunden werden“, schrieb sie in einem Friedensbericht für USIP mit dem Titel „Afghanische religiöse Führer für Frauenrechte gewinnen“.
Unter Bezugnahme auf eine Umfrage der Asia Light Foundation wies Kakar darauf hin, dass 60 Prozent der Befragten angaben, Probleme regelmäßig durch traditionelle Jirgas oder Shuras zu lösen, zu denen Mullahs (religiöse Führer), Stammesälteste und Dorfvorsteher gehören. Achtzig Prozent hielten sie für faire und vertrauenswürdige Institutionen.
Kakar berichtet, dass der Versuch, Perspektiven und Politik durch internationale Menschenrechtsrahmen zu verändern, in Afghanistan nicht immer erfolgreich war. Die Maßnahmen wurden oft als von außen aufgezwungene Ideen abgelehnt. „Der aktuelle Versuch beginnt mit der Erkenntnis, dass Afghanistan eine zutiefst traditionelle Gesellschaft bleibt.“
Frauenrechtlerinnen haben bisher gezögert, religiöse Führer einzubinden, weil sie der Meinung waren, dass sie gegen fortschrittliche Veränderungen sein könnten. Doch Kakar argumentiert, dass viele, besonders auf lokaler Ebene, daran interessiert sind, Hilfe zu leisten.
„Ihre Unterstützung kann zu mehr Akzeptanz der Menschen für die Bedeutung von Frauenrechten führen und einer nachhaltigen Veränderung des Verhaltens führen. Das kann zu mehr Erfolgen in Bezug auf die Wirkung, Nachhaltigkeit und Reichweite eines Projekts führen.“
Ahmadi sagt, sie müsse die internationale Gemeinschaft nicht erst davon überzeugen, dass die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Gruppen zum Erfolg und zur Nachhaltigkeit von Friedensabkommen beiträgt. Eine Vielzahl von Untersuchungen zeigt, dass das Engagement von Frauengruppen und religiösen Organisationen das Risiko für das Scheitern von Friedensabkommen um 64 Prozent verringert.
„Es ist beunruhigend, dass selbst diejenigen, die sich in ihren optimistischen Erklärungen auf diese Forschungsergebnisse über die Beteiligung von Frauen in Friedensprozesse berufen, meist versagen, wenn es um die Umsetzung geht. Dieselben Führungspersönlichkeiten verschließen allzu oft ihre Augen und versäumen es, konkrete Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung der Frauenrechte zu ergreifen“, so Ahmadi.
Im Zuge des politischen Wandels hält Kakar mehr Engagement und Dialog seitens der internationalen Gemeinschaft für dringend erforderlich, insbesondere wenn es um Partnerschaften mit religiösen Führern geht.
„Errungenschaften, die in den letzten zehn Jahren bezüglich des Erhalts von mehr Rechten und Freiheiten der afghanischen Bevölkerung erzielt wurden, dürfen nicht verloren gehen. Diese Zeit des Übergangs bietet eine gute Gelegenheit, das Netzwerk einflussreicher Persönlichkeiten zu stärken und zu erweitern, die Themen wie Korruption, Toleranz und die Verteidigung grundlegender Menschen- und Frauenrechte ansprechen können.“
Ein Scheitern in diesem Punkt könnte laut Ahmadi verheerende Folgen für Frauenrechte und die Zukunft von Friedensprozessen auf der ganzen Welt haben.
„Wenn wir es nicht schaffen, unsere Stimme zu erheben, um die Errungenschaften der letzten 20 Jahre in Afghanistan zu schützen, werden wir es nicht schaffen, Frauen in allen anderen Ländern zu schützen“, sagt sie.
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