Wenn es um die beiden Themen Klimawandel und Umweltgerechtigkeit geht, kennt Oberrabbiner David Rosen keine Kompromisse.
„Es gibt kein wichtigeres Thema“, sagte er kürzlich in einem Interview mit dem Dialogzentrum KAICIID. „Was sind all die sehr bedeutenden Dinge, die in unserer Welt getan werden müssen, wert, wenn wir alles zerstören? Wir selbst tragen die Verantwortung für das Fortbestehen des Lebens auf der Erde.“
Als ehemaliger Oberrabbiner von Irland und Großrabbiner der größten orthodoxen jüdischen Gemeinde Südafrikas ist Rosen ein prominenter interreligiöser Würdenträger. Er fungiert auch als internationaler Direktor für interreligiöse Angelegenheiten des American Jewish Committee und als Mitglied des KAICIID-Direktoriums.
Von allen Aspekten seiner Arbeit in interreligiösem Dialog und Bildung ist seine größte Leidenschaft die Umwelt und die Notwendigkeit, unseren Lebensstil entsprechend zu verändern.
„Als Mann des Glaubens denke ich, dass es in der heutigen Zeit kein anderes Thema gibt, mit dem sich religiöse Menschen so zwingend beschäftigen müssen“, mahnt er.
Zusätzlich zu seiner Arbeit für KAICIID hat Rosen mit Religions for Peace (RfP) und dem Parlament der Weltreligionen an einer Vielzahl von interreligiösen Bemühungen gearbeitet, die darauf abzielen, die katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels zu bekämpfen. Er schreibt viel, hält häufig Reden und ist aktiv an mehreren Initiativen beteiligt, die sich mit den Herausforderungen des Klimawandels befassen.
Zwei dieser Initiativen sind das in Jerusalem ansässige Interfaith Centre for Sustainable Development (ICSD) und die Interfaith Rainforest Initiative – ein internationales, multireligiöses Bündnis, das „sich mit moralischer Verpflichtung und religiöser Führungsarbeit in die globalen Bemühungen gegen die Abholzung der Regenwälder einbringt.“
Rosens Überzeugungen entspringen einer tiefen persönlichen Wertschätzung für die Umwelt als Geschenk Gottes.
Sich um den Planeten zu kümmern, ist laut Rosen das Herz der biblischen Erzählung und zeugt von Ehrfurcht vor dem Werk des Schöpfers und dessen Bewahrung.
„Wenn die Religion – und das gilt für die abrahamitischen Religionen als auch für die meisten Dharma-Glaubensrichtungen – bekräftigt, dass der Kosmos tatsächlich eine Schöpfung ist, dass er ein Zeugnis der göttlichen Kraft und Gegenwart ist, dann ist die Art und Weise, wie wir uns zu ihm und allem, was in ihm ist, verhalten, vor allem zu allen anderen fühlenden Wesen, ein Zeugnis unserer Beziehung zu Gott.
„Jeder Akt der Missachtung, geschweige denn eine Handlung, die zu einem Verlust der Art oder zu einer Verschlechterung führt, ist letztlich eine Pietätlosigkeit, ein Vergehen gegen Gott selbst“, sagt der Rabbi.
Rosen ist vor allem von dem Bedürfnis getrieben, religiöse Menschen davon zu überzeugen, dass dies die größte spirituelle Verantwortung unserer Zeit ist.
Zu diesem Zweck richtete er auf der 10. Weltversammlung von Religions for Peace in Lindau im Jahr 2019 ein leidenschaftliches Plädoyer an einen Raum voller Vertreterinnen und Vertreter aus allen Religionen der Welt.
Rosen unterstrich die Verantwortung religiöser Führungspersönlichkeiten und Gemeinschaften, sich zu engagieren und Initiativen anzuführen, die sich für den Erhalt der Umwelt einsetzen – sowohl aus pragmatischen als auch aus altruistischen Gründen. Seine Botschaft war klar:
„Eine Religion, die sich nicht um die Umwelt kümmert, ist ihres Namens nicht würdig“, sagte er unter Beifall.
Bei diesem Treffen wurde Rosen auch Zeuge davon, wie religiöse und spirituelle Führerinnen und Führer die Notwendigkeit dringender und entschlossener Maßnahmen bekräftigten, um die Abholzung der Tropenwälder zu beenden und die sich vertiefende Ungleichheit und den Klimawandel zu bekämpfen, indem sie die „Deklaration Glaube für die Wälder“ der Interfaith Rainforest Initiative unterstützten.
Rosen glaubt, dass auf politischer und lokaler Ebene mehr getan werden muss.
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Was die Zusammenarbeit von Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Wissenschaft mit Religionsgemeinschaften bei Themen wie dem Klimawandel betrifft, hat es nach Rosens Ansicht in den letzten Jahren große Fortschritte gegeben.
„Wie auf dem Gebiet der Konfliktlösung gab es einmal eine normative Missachtung von Religionsgemeinschaften auf diplomatische Ebene, die die Religion als Teil des Problems betrachtete. Sie hatten nicht völlig unrecht, aber wenn man nicht will, dass die Religion Teil des Problems ist, kann die Antwort nicht sein, sie zu ignorieren. Man muss sie zum Teil der Lösung machen.“
Rosen glaubt, dass sich in dieser Hinsicht ein Wandel vollzieht, auch im Hinblick auf die Herausforderung der ökologischen Nachhaltigkeit. „Mehr und mehr arbeiten politische Entscheidungsträgerinnen und -träger und die Wissenschaft mit Religionsgemeinschaften zusammen, um gegen die Umweltzerstörung zu mobilisieren.“ In der Tat war eine positive Seite der Coronavirus-Pandemie die Art und Weise, wie Religion und Wissenschaft zusammengearbeitet haben. Außerdem haben Politikerinnen und Politiker zunehmend die Notwendigkeit erkannt, religiöse Meinungen und Gemeinschaften einzubeziehen.
„Ich glaube an den interreligiösen Dialog als ein Gebot an und für sich“, so Rosen, „aber auch diejenigen, die das vielleicht nicht zu schätzen wissen, können die Bedeutung einer pragmatischen Zusammenarbeit verstehen.“
„Wenn es um die Umweltthemen geht, die es zu bearbeiten gilt, müssen wir zusammenarbeiten, um größer zu sein als die Summe der Einzelteile.“
Auf die Frage, was lokale Glaubensgemeinschaften tun können, meint er, dass es nicht ausreicht, Religionsgemeinschaften zu mobilisieren, um für bestimmte Politiken einzutreten, Erklärungen zu bekräftigen oder „grüne Gemeinden“ zu fördern. Es geht auch darum, unseren Lebensstil drastisch zu ändern.
Rosen plädiert insbesondere für den Veganismus.
Ein Bericht des Weltklimarates (IPCC) aus dem Jahr 2019 über Klimawandel, Wüstenbildung, Bodenverschlechterung, Ernährungssicherheit und nachhaltige Landbewirtschaftung sieht pflanzliche Ernährung als eine bedeutende Möglichkeit, die Auswirkungen des Klimawandels zu mildern.
Der von den Vereinten Nationen (UNO) in Auftrag gegebene Bericht besagt, dass bis zum Jahr 2050 durch Anpassungen der Ernährung mehrere Millionen Quadratkilometer Land frei werden und die CO2-Emissionen um bis zu acht Milliarden Tonnen pro Jahr reduziert werden könnten. Der Bericht endet mit der Empfehlung, den weltweiten Fleischkonsum zu reduzieren.
„Unsere Ernährung zu ändern ist sogar noch wichtiger als Recycling oder die Reduzierung unseres Kohlenstoff-Fußabdrucks durch andere Maßnahmen. Veganismus ist heute eine absolut machbare Sache“, so Rosen.
In einem Video, das er für Jewish Veg produziert hat – eine Organisation mit Sitz in den USA, die Jüdinnen und Juden ermutigt, sich pflanzlich zu ernähren – erklärt er, dass Veganismus das neue Koscher für das 21. Jahrhundert ist.
Menschen zu bitten, auf Fleisch zu verzichten, besonders diejenigen, für die Fleisch ein Teil ihrer religiösen Praxis ist, kann eine schwierige Aufgabe sein, räumt er ein.
„Wenn ich als orthodoxer Rabbiner daherkomme und für den Veganismus eintrete, bedrohe ich eine traditionelle Praxis und ein System, das nicht nur ein Macht- und Positionsgefüge, sondern auch ökonomische Interessen in Frage stellt. Das ist natürlich sehr, sehr schwierig“, so der Rabbi.
Ob es nun darum geht, die Religionsgemeinschaften zum Verzicht auf Fleischprodukte aufzufordern oder um das Thema Klimawandel insgesamt – Rosen bleibt optimistisch.
„Warum sieht der Pessimist das Glas halb leer und warum sieht der Optimist es halb voll?“ Rosen antwortet: „Der Pessimist blickt von oben herab und erwartet ein volles Glas, also ist er enttäuscht von dem, was fehlt. Aber der Optimist weiß, dass das Glas ursprünglich leer war, sieht was darin ist und freut sich über alles.“
Dies sei seine Einstellung, wenn es um den Fortschritt in Umweltfragen geht, sowohl innerhalb als auch außerhalb der globalen interreligiösen Gemeinschaft, so Rosen.
„Wenn man bedenkt, was die Welt vor 20 oder 30 Jahren beschäftigte und wie engagiert wir heute sind, hat es eine dramatische Veränderung gegeben.“
„Die meisten von uns hatten Umweltthemen vor 20 Jahren noch nicht einmal auf der Tagesordnung, und jetzt ist es ein Hauptschwerpunkt der multireligiösen Zusammenarbeit“, sagt Rosen. „Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hat es so viel interreligiöses Verständnis und Zusammenarbeit gegeben.“
Der Wandel sei schrittweise erfolgt, betont der Rabbi. Dennoch ist er davon überzeugt, dass wir uns einem archimedischen Punkt nähern, an dem die Zusammenarbeit und Innovation bei den Themen Klimawandel und Umweltgerechtigkeit exponentiell zunehmen wird.
„Ein Teil des Geschenks, nach dem göttlichen Ebenbild geschaffen zu sein, ist die kreative Fähigkeit, das Universum zum Besseren wie zum Schlechteren zu verändern. Besonders mit unserer modernen Technologie können wir Wege finden, mit den Herausforderungen umzugehen, die wir vorher nicht bewältigen konnten. Ich denke, das ist ein Grund für meinen immensen Optimismus. Das allein ist schon genug, um einen positiven Ausblick auf die Zukunft zu rechtfertigen.“
Wie können religiöse Führerinnen und Führer helfen, den Klimawandel zu bekämpfen? Lesen Sie mehr hier.