Tsegahun Assefa Adugna spricht während einer Fahrt durch Addis Abeba über den Konflikt, der die größte Herausforderung für den Frieden seit Jahrzehnten in Äthiopien darstellt. „Ich denke nicht, dass es einen Krieg geben wird. Wir drängen auf eine friedliche Lösung des Konflikts.“
Äthiopien befindet sich in einer tiefen Krise. Seit Monaten kämpft die Regierung gegen die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF). Die Kämpfe haben die seit langem bestehenden Spaltungen zwischen den ethnischen Gruppen Äthiopiens nochmals vertieft. Es handelt sich um die Amhara, die Oromos, die derzeit die Bundesregierung stellen, und die Tigray, die früher fast drei Jahrzehnte lang die äthiopische Politik beherrschten.
Nachrichtenagenturen berichten von tausenden Toten und mehr als 950.000 Vertriebenen in einem Konflikt, der das nationale Gefüge Äthiopiens und die Stabilität der Region am Horn von Afrika zu zerstören droht.
Gefährliche Entwicklung von ethnisch motivierten Angriffen
Ethnisch und religiös motivierte Hassrede hat dazu beigetragen, dass Äthiopien an der Kippe zu einem Bürgerkrieg steht. Ende letzten Jahres gaben die UN-Sonderberaterinnen Pramila Patten und Karen Smith eine Erklärung ab, in der sie Hassrede sowie Berichte über gezielte Angriffe gegen Mitglieder der Zivilgesellschaft aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder Religion verurteilen.
„Ethnisch motivierte Angriffe und Berichten zufolge ethnisches Profiling von Bürgerinnen und Bürgern stellen eine gefährliche Entwicklung dar. Sie erhöhen das Risiko von Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, allgemein als Gräueltaten bezeichnet“, schreiben die UN-Sonderberaterinnen.
In einer eigenen Erklärung fordert die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, alle Parteien auf, „in ernsthaften Dialog zu treten, um ihre Differenzen unverzüglich zu lösen. Ein langwieriger interner Konflikt wird sowohl Tigray als auch Äthiopien als Ganzes verheerenden Schaden zufügen und Jahre wichtiger Entwicklungsfortschritte zunichtemachen.“
KAICIID Fellows in Äthiopien haben ihre umfangreichen interreligiösen Netzwerke mobilisiert, um zu versuchen, die großen ethnischen und religiösen Gräben des Landes zu überwinden.
Interreligiöse Vermittlungsbemühungen
Adugna ist ein KAICIID Fellow des Jahres 2018 und Leiter der Kinder- und Jugendarbeit der Mekane Yesus Kirche, die über neun Millionen Mitglieder zählt. In den letzten Monaten hat er seine Position auf der Kanzel genutzt, um für interreligiösen Dialog und Frieden zu werben.
„Ich habe über brüderliche Liebe und Vergebung gepredigt. Wenn wir Gruppengespräche führen oder gemeinsam Kaffee trinken, betone ich, wie man die Ideen der anderen respektiert und Lösungen einbringt, die uns zu Einheit und gegenseitigem Verständnis führen können.“
Adugna arbeitet auch mit dem Interreligiösen Rat der Kirchen in Äthiopien (EIC) zusammen und schult einzelne Personen genauso wie Institutionen im Kampf gegen Hassrede. Der Rat setzt sich aus sieben religiösen Gruppen zusammen, darunter Muslime, Adventisten und Katholiken.
Viele seiner Trainings konzentrieren sich auf die Deeskalation von Konflikten zwischen Menschen verschiedener Glaubensrichtungen und ethnischer Hintergründe. „Wir arbeiten daran, durch gegenseitigen Respekt und Vergebung Frieden zu schaffen. Dem können sich alle Menschen anschließen, egal ob sie muslimischen oder christlichen Gruppen angehören.“
Letzten Sommer trafen Vertreterinnen und Vertreter des Interreligiösen Rates der Kirchen in Äthiopien (EIC) und andere bekannte Persönlichkeiten mit der TPLF-Führung in Tigray zusammen, um den Frieden zu fördern. Nach Angaben der interreligiösen Vermittlungsdelegation war der Dialog ihre eigene Initiative und nicht mit einer politischen Partei verbunden.
„Das Treffen war sehr wichtig, um Frieden zwischen den Konfliktparteien zu schaffen“, meint Adugna, der von hochrangigen EIC-Persönlichkeiten über das Ergebnis informiert wurde.
Adugna weiß, dass es noch ein langer Weg zum Frieden ist, doch er ist hoffnungsvoll, dass diese ersten Vermittlungsbemühungen den Weg in die Zukunft weisen. „Es war eine gute Idee, die Konfliktparteien dazu zu bringen, sich zusammenzusetzen und gemeinsam zu überlegen, was sie tun können, um das Land aufzubauen und die Bürgerinnen und Bürger zu stärken.“
„Die interreligiöse Bewegung ist wichtig, weil die religiösen Führungskräfte eine bedeutende Rolle bei der Schaffung von Frieden und bei der Entwicklung unserer Nation spielen können“, erklärt er.
Die Ursachen von Hassrede
Dr. Geleta Simesso, ein KAICIID Fellow des Jahres 2016, hat sich in Sachen Konfliktprävention Adugnas Arbeit angeschlossen.
Als lutherischer Pastor der Mekane Yesus Kirche und Berater des Interreligiösen Rates von Äthiopien (ICE) hat Simesso die letzten Monate damit verbracht, religiöse Führungspersönlichkeiten über die Folgen von Hassrede aufzuklären. Aufgrund des Coronavirus wurde ein Großteil dieser Arbeit über Online-Plattformen durchgeführt. Eine der Schulungen, die per Livestream auf Zoom und in den sozialen Medien übertragen wurde, zählte rund 144.0000 Zuschauerinnen und Zuschauer.
Laut Simesso entsteht Hassrede oft aus Angst vor oder Missverständnissen über religiöse Identität. „Menschen identifizieren sich mit dieser oder jener Religion. Vielleicht sind sie christlich oder muslimisch, oder sie sind womöglich Protestanten oder Katholiken. Akzeptanz zu schaffen ist die größte Herausforderung, vor der wir normalerweise stehen. Die Menschen misstrauen einander und das Konzept des interreligiösen Dialogs ist ihnen neu.“
Simesso arbeitet daran, diese Vorurteile zu zerstreuen und die religiösen und ethnischen Gruppen in Äthiopien zum Dialog miteinander zu ermutigen. „Christinnen und Christen kaufen kein Fleisch bei einem muslimischen Metzger und umgekehrt. Es ist üblich, zu hören 'Das ist muslimisches Fleisch' oder 'Das ist christliches Fleisch'. Musliminnen und Muslime gehen nicht in christliche Restaurants und Christinnen und Christen gehen nicht in muslimische Restaurants. In einer solchen Umgebung ist es nicht einfach, sich zu öffnen, wenn es um Religion geht.“
Eine Kultur des Dialogs
KAICIID Fellow Adane Dechassa Teshale ist stellvertretender Direktor der Abteilung für Friedenskonsolidierung beim ICE-Rat, der die Religionszugehörigkeit von 97 Prozent der Gesamtbevölkerung Äthiopiens vertritt.
Nach Ausbruch des Konflikts gaben führende Vertreter des Interreligiösen Rates (ICE) eine Erklärung ab, in der sie zu friedlichem Dialog und Verhandlungen, verantwortungsvollem Journalismus und Vorsicht in den sozialen Medien aufriefen.
„Äthiopien ist ein Land mit verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen“, so Teshale. „Der Rat fördert die friedliche Koexistenz, den Dialog, das Akzeptieren und Respektieren von Unterschieden. Daher hoffe ich, dass wir gewaltsame Konflikte, die auf ethnischen und religiösen Unterschieden beruhen, minimieren können.“
Teshale glaubt, dass eines der größten Hindernisse für die Schaffung von Verständnis zwischen Menschen verschiedener Glaubensrichtungen der derzeitige Mangel an Ausbildung im interreligiösen Dialog ist. Obwohl der ICE-Rat im Jahr 2010 gegründet wurde, ist interreligiöser Dialog ein relativ neues Phänomen in Äthiopien.
Ein Großteil von Teshales Arbeit besteht darin, religiöse Persönlichkeiten zu bitten, ihren Glauben denen zu erklären, die mit anderen Glaubensrichtungen nicht vertraut sind. „Die Kultur des Dialogs ist hier nicht sehr entwickelt und das ist unser Hauptproblem. Viele Menschen neigen eher zum Streiten als zum Dialog, das führt eher zu Konflikten als zu friedlicher Koexistenz.“
Zusätzlich hat die Intoleranz gegenüber ethnischen und religiösen Unterschieden sowie eine Politik, die nach ethnischer Zugehörigkeit ausgerichtet ist, die Spaltungen in dem instabilen Land vertieft. „Die meisten Menschen denken eher an ihre ethnische Gruppe als an Nationalität und Einheit“, erklärt Teshale.
Laut Teshale wird Großteil der Arbeit des Interreligiösen Rates in persönlichem Kontakt durchgeführt, um den Kern des Konflikts anzusprechen. „Meistens arbeiten wir vor Ort. Wenn es Anzeichen oder eine Tendenz zu gewaltsamen Konflikten gibt, führen wir Dialogsitzungen durch, um andere Wege aufzuzeigen.“
Wie Adugna und Simesso glaubt auch Teshale, dass es die Aufgabe religiöser Führungskräfte ist, friedliche, gerechte Gemeinschaften zu fördern. „Wir übernehmen die Verantwortung, die gespaltene Gesellschaft zusammenzubringen und Frieden zu schaffen.“
Möchten Sie mehr darüber erfahren, wie religiöse Führungskräfte Anstiftung zu Gewalt und Gräueltaten verhindern können? Laden Sie den Aktionsplan hier herunter.