Auf der 10. Weltversammlung von Religions for Peace (RfP) in Lindau, Deutschland, griff Rabbiner Elías Szczytnicki entschlossen zum Mikrofon, nachdem ein Entwurf der Erklärung der Versammlung verlesen worden war.
Die Erklärung sprach viele Themen an, darunter gewalttätige Konflikte, Bildung, extreme Armut bis hin zum Schutz heiliger Stätten. Doch in einem Detail wies die Erklärung Mängel auf, argumentierte Szczytnicki. Zwar enthalte sie einen Abschnitt über „Nachhaltige und integrale menschliche Entwicklung und den Schutz der Erde“, doch gehe die Erklärung seiner Meinung nach nicht weit genug.
„Die Umwelt muss oberste Priorität haben. Es reicht nicht aus, sie im letzten Absatz zu erwähnen, sie muss ganz oben stehen“, so Szczytnicki, Regionalleiter für Religions for Peace in Lateinamerika und der Karibik.
„Wenn die Klimakrise in ihrem gegenwärtigen Ausmaß anhält, werden wir keinen Planeten zu schützen haben, keinen Ort, auf dem wir unsere Synagogen, Kirchen oder Moscheen bauen können. Kein geteiltes Land, über das wir Frieden schließen könnten, überhaupt kein Heiligtum“, mahnte Rabbi Szczytnicki.
Er übermittelte dieselbe Botschaft an diejenigen, die im Rahmen der regionalen Konsultationen im Vorfeld des Interreligiösen G20-Forums, das von 13. bis 17. Oktober aus Saudi-Arabien übertragen wird, über die dringendsten Fragen unserer Zeit beraten.
Zur Freude Szczytnickis ist eines der Hauptthemen des Forums der „Schutz des Planeten“.
Die Delegierten diskutieren und geben politische Empfehlungen zu Themen ab, darunter Ökologie, mit Schwerpunkt auf der Abholzung und dem Schutz der Regenwälder, dem Zugang zu sauberem Wasser, der Verpflichtung zur Reduzierung des Einsatzes von Kunststoffen und dem Engagement von religiösen Netzwerken zur Reduzierung des Katastrophenrisikos. Diese spiegeln mehrere umweltbezogene Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) wider.
Konkrete Ergebnisse
Vor allem hoffen Szczytnicki und andere, die am Konsultationsprozess beteiligt waren, auf ein konkretes Ergebnis: strategische Partnerschaften, die sich mit dem Klimawandel und seinen Folgen befassen.
Dr. Lara Wakim, Dekanin der Fakultät für Landwirtschaft der Holy Spirit University in Kaslik, Libanon, betonte die Notwendigkeit von Partnerschaften, um praktische Ergebnisse beim Schutz des Planeten zu erzielen.
Wakim präsentiert wissenschaftliche Erkenntnisse beim Interreligiösen Forum. Sie sieht ihre Aufgabe aber auch darin, glaubensorientierte Organisationen (FBOs) und ihre Mitglieder zu inspirieren und zu befähigen, sich für die Umwelt einzusetzen. „Religiöse Führerinnen und Führer tragen entscheidend zum Erfolg der globalen Solidarität für eine ethische, moralische und spirituelle Verpflichtung zum Schutz der Umwelt und der Schöpfung Gottes bei“, so die Dekanin.
Insbesondere riet Wakim den FBOs, konkrete Schritte zu setzen, um Gewohnheiten in ihren Gemeinschaften zu ändern, das Recht auf saubere Umwelt zu unterstützen oder ihre Investitionen und Vermögenswerte „grüner“ zu machen, um die Umsetzung der SDGs zu unterstützen.
„Fast alle Religionen stimmen darin überein, dass die Schöpfung ein Akt Gottes und die Natur ein Akt der Göttlichkeit ist und als solcher behandelt werden sollte. Daher stimmen die Grundwerte der FBOs weitgehend mit der Agenda 2030 überein“, erklärt Wakim.
Für konkrete Beiträge braucht es jedoch Partnerschaften, die über Glaubensgemeinschaften hinaus gehen, so Wakim. Neben der Mobilisierung religiöser Persönlichkeiten setzt sich Wakim auch für die Schaffung von Arbeitsbeziehungen zwischen wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen, gemeinnützigen Organisationen, öffentlichen Einrichtungen und dem privaten Sektor ein.
„Ich bin der festen Überzeugung, dass die SDGs nur erreicht werden können, wenn ein möglichst breites Spektrum von Partnerschaften und Kooperationen in allen Sektoren und auf allen Ebenen der Gesellschaft gefördert und erleichtert wird“, gibt sie zu bedenken.
Vorstellungen umsetzen
Ein Paradebeispiel für die Möglichkeiten (und die Herausforderungen) solcher Partnerschaften ist die Arbeit von Roland Moore. Er ist Leitender Direktor für Nachhaltigkeit bei Burson Cohn & Wolfe, einem internationalen Kommunikationsunternehmen. Zuvor war er fünfzehn Jahre lang im öffentlichen Dienst des Vereinigten Königreichs in umweltpolitischen Fragen tätig.
Im Vorfeld des Interreligiösen G20-Forums wurde Moore gebeten, seine umfassende Erfahrung und sein Fachwissen in die Vorgespräche der Arbeitsgruppe für Umweltfragen einzubringen.
Es sei „sehr reizvoll mit bedeutenden Menschen zusammenzuarbeiten, die konkrete Vorstellungen von Religion und Umwelt umsetzen wollen“, so Moore.
Als Anglikaner hoffte Moore lange darauf, dass religiöse Führerinnen und Führer in Sachen Nachhaltigkeit eine Vorreiterrolle einnehmen würden. Er verwies auf Heldinnen und Helden des Klimawandels wie Greta Thunberg und fragte: „Wir sehen, dass aus allen Lebensbereichen, wie Wirtschaft und Zivilgesellschaft, Führungspersönlichkeiten hervorgehen. Warum sollten wir nicht auch in den Religionsgemeinschaften Führungspersönlichkeiten haben?“
Moore weiter: „Ich denke, der interreligiöse Beitrag in der Debatte über den Klimawandel ist entscheidend. Das war meine Inspiration, mich zu engagieren.“
Auf der anderen Seite fand er den Prozess anstrengender als erwartet. Der Versuch, unterschiedliche Stimmen aus dem gesamten religiösen Spektrum zu vereinen, erwies sich als ambitioniertes Vorhaben. Manchmal sei es schwierig, einen Konsens zu finden.
Ein noch dringenderes und allgegenwärtiges Problem sei es, Regierungsvertreterinnen und -vertreter dazu zu bringen, den religiösen Stimmen wirklich zuzuhören, meint Moore.
„Ich dachte, dass religiöse Persönlichkeiten in den Prozess eingebunden sind.“ Die Realität zeigte aber, dass FBOs nicht unbedingt „Schaufensterpuppen“ seien, aber „ein bisschen wie eine nachträgliche Idee behandelt würden“.
Moore, der Milliarden Menschen auf der ganzen Welt vertritt, ist der Ansicht, dass die Stimmen der FBOs besser in politische Diskussionen integriert werden müssen. „In diese politischen Empfehlungen werden wir einige Worte mit großer Bedeutung schreiben. Es wäre gut, konkreter auf den Glauben zu achten, wenn wir wollen, dass diese Worte wirksam sind“, mahnt Moore.
Parteien wie Partner behandeln
Partnerschaften zwischen FBOs, Regierungen und dem privaten Sektor funktionieren nur, wenn alle Parteien wie Partner behandelt werden. Oder, wie Moore es ausdrückte, wenn jede Zutat „in den Kuchen gebacken“ wird.
Szczytnicki, der vor kurzem seine Arbeit bei der regionalen Konsultation für Lateinamerika des Interreligiösen G20-Forums beendete, stimmte zu, dass es eine Herausforderung für religiöse Stimmen sein kann, „in einer Welt, die von Tag zu Tag säkularer wird“, gehört zu werden.
Aber am Rand zu stehen, so argumentierte er, könne die FBOs auch an ihre Kernaufgabe erinnern: als Fürsprecher derer zu agieren, die von den Auswirkungen des Klimawandels am stärksten betroffen sind.
In einem UN-Arbeitspapier aus dem Jahr 2017 stellten S. Nazrul Islam und John Winkel fest, dass es einen „Teufelskreis“ aus Klimawandel und bestehenden Ungleichheiten gibt. Sie schreiben: „Die bestehende Ungleichheit führt dazu, dass die benachteiligten Gruppen unverhältnismäßig stark unter den negativen Auswirkungen des Klimawandels leiden, was in der Folge zu größerer Ungleichheit führt.“
In Peru, Brasilien, Kolumbien und anderen Ländern, die durch den Amazonas-Regenwald miteinander verbunden sind, kümmert sich Szczytnicki besonders um die indigenen Völker und die arme Landbevölkerung. Für ihn ist die Arbeit in solchen Gemeinschaften im Bereich des Klimawandels Ausdruck des religiösen Verständnisses - die Verteidigung, der Schutz und das Eintreten für die Schwächsten.
Besonders wenn es um die Abholzung der Wälder geht, sagt Szczytnicki: „Zweck und Stimme der religiösen Führerinnen und Führer ist es, gemeinsam mit den indigenen Völkern zu arbeiten, um Ziele zu formulieren, weiterzuverfolgen, bei der Umsetzung zu helfen, sie zu überprüfen und so weiter.“
Für Szczytnicki bedeutet dies auch, den Klimawandel nicht von anderen relevanten Themen zu trennen, die die globale Gemeinschaft betreffen. „Es ist sehr wichtig, dass die religiösen Führerinnen und Führer unseren Regierungen sagen, dass Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik und Umweltpolitik Hand in Hand gehen müssen und nicht voneinander getrennt betrachtet werden können.“
„Entwicklung ist ein dreidimensionales Konzept“, so Szczytnicki.
Strategische Partnerschaften zwischen benachteiligten Gruppen, religiösen Akteurinnen und Akteuren, Regierungsinstitutionen, dem Privatsektor und Nichtregierungsorganisationen seien unerlässlich, mahnt er.
„Jeder versteht den Planeten und das menschliche Schicksal entsprechend seiner Perspektive. Aber die Welt ist etwas, das über das Leben eines jeden von uns hinausgeht. Sie ist ein gemeinsames Schicksal, das alles menschliche Leben begleitet.“
In Anlehnung an seine Worte auf der RfP-Weltversammlung sagt Szczytnicki, dass er sich zwar stark für die Erfüllung der SDGs einsetze, dass aber die Umwelt die oberste Priorität sein müsse.
„Es gibt im Moment keinen anderen Ort, an dem wir zusammenleben könnten“, so Szczytnicki. „Wir müssen gemeinsam nach Lösungen suchen, sonst wird keiner von uns einen Ort zum Leben haben.“