Dr. Scherto R. Gill ist Senior Fellow am GHFP-Forschungsinstitut, einem internationalen Think-Tank für den Frieden mit Sitz in Großbritannien. Sie ist Gast-Forschungsbeauftragte am Centre for International Education, Lehrbeauftragte an der University of Sussex und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Harmony Institute der University of Wales Trinity St. David. Dr. Gill gehört der europäischen Konsultationsarbeitsgruppe für das interreligiöse G20-Forum an.
Die Coronavirus-Krise hat auch eine verborgene Pandemie zu Tage befördert, die seit vielen Jahrzehnten einen großen Teil der Menschheit betrifft. Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen, die aufgrund von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Alter, Fähigkeiten, sexueller Orientierung, sozioökonomischem Status, Sprache, Glauben und anderen Hintergründen benachteiligt sind. Welcher „Impfstoff“ ist notwendig, um dieser versteckten Pandemie ein Ende zu bereiten?
Während dieser beispiellosen Gesundheitskrise gehören benachteiligte Kinder und Jugendliche zu den am stärksten marginalisierten. Laut dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) erhalten momentan 86 Prozent der Kinder im Grundschulalter in Ländern mit niedriger humaner Entwicklung keine Schulausbildung. Jedoch gibt es trotz der Herausforderungen auch einen leisen Hoffnungsschimmer. Während in den Schulen nicht unterrichtet wird, sind es für viele Gemeinschaften vom Glauben inspirierte Initiativen, die aktiv die Lücken füllen, die durch Schulschließungen und Isolation entstanden sind. Tatsächlich spielen Religionsgemeinschaften seit langem eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, auf die Ausgegrenzten zuzugehen, sich um die Schwachen zu kümmern und die Gleichberechtigung im Bildungswesen zu fördern. Das liegt nicht nur daran, dass sie integraler Bestandteil von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik sind. Sondern und noch wichtiger - dass die Fürsorge für die Schwachen und Bedürftigen im Mittelpunkt der Daseinsberechtigung dieser Gemeinschaften steht.
Glaubensorientierter Ansatz zur Bildungsintegration
Was können wir aus einem glaubensorientierten Ansatz für die Bildungsintegration und den sozialen Zusammenhalt lernen? Im Juni dieses Jahres richtete das Interreligiöse G20-Forum die Arbeitsgruppe Bildung ein und führte in Zusammenarbeit mit dem GHFP-Forschungsinstitut eine detaillierte Umfrage durch. Dabei wurden 50 Bildungsorganisationen auf der ganzen Welt befragt, um Einblicke in die vom Glauben inspirierte Perspektive und Herangehensweise an die Bildungsintegration vor, während und nach der COVID-19-Krise zu erhalten.
Die Ergebnisse waren eine Überraschung.
Erstens gibt es eindeutig ein gemeinsames, auf dem Glauben basierendes Verständnis, dass Inklusion mehr ist, als den Schülerinnen und Schülern Zugang zu Bildung zu gewähren. Bei Inklusion geht es vor allem darum, das Kind als Ganzes zu fördern und sein ganzheitliches Wohlbefinden in allen Bereichen zu unterstützen. Dazu zählen zum Beispiel körperliche, sozial-emotionale, intellektuelle, moralische, kulturelle und spirituelle Dimensionen. Zweitens besagt eine Perspektive des Glaubens, dass die menschliche Vielfalt nicht zu fürchten ist, sondern dass Unterschiede unsere kulturellen Praktiken bereichern können. Schulen werden dazu ermutigt, sensibler auf die sich entwickelnden Bedürfnisse aller Schülerinnen und Schüler einzugehen. Drittens zeigt ein glaubensorientierter Ansatz, dass Inklusion ein integrales Bestreben sein muss, vom interreligiösen Lehrplan bis zur beziehungsorientierten Pädagogik, von dialogischen und gemeinschaftlichen Lernräumen bis zur Ausrichtung des Lernens auf lokale Realitäten mit dem Ziel, diese zu verändern.
Menschenzentriertes Bildungswesen
Diese vom Glauben inspirierten Perspektiven ließen die Arbeitsgruppe zu der Erkenntnis gelangen, dass Bildung bereits das „Heilmittel“ für die weit verbreiteten sozialen Missstände darstellt. Es ist jedoch ein „Heilmittel“, das von einem Ausweg aus dem System abhängt. Nur Bildung wird unsere Kinder nicht ihrer Zukunft berauben, so John Dewey. Es ist keine Übertreibung anzuregen, dass der „Impfstoff“ zur Beendigung der verborgenen Pandemie der Ungleichheit gerade in einem Bildungssystem zu finden ist, das inklusiv und menschenzentriert ist. Das sich um das Gedeihen aller kümmert und es unterstützt. Es handelt sich um ein humanes System der Würde, Qualität und Gleichheit, das auf einer gemeinsamen Vision des Lernens basiert. Diese besteht zum Teil darin, ein ethisches Zusammenleben zu führen.
Das Coronavirus beraubt bereits jetzt Jugendliche weltweit der Möglichkeiten, weiter zu lernen, zu arbeiten und ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Daher bedarf es einer gemeinsamen Anstrengung von führenden Politikerinnen und Politikern weltweit, um sicherzustellen, dass integrative und fürsorgliche Bildung alle Schülerinnen und Schüler erreicht, ihre menschlichen Qualitäten fördert, ihre geistige Widerstandsfähigkeit stärkt und sie in eine vielversprechende Zukunft führt.
Robert Camus erinnert uns daran, dass Pandemien der Menschheit helfen können, über sich selbst hinaus zu wachsen. Lassen Sie uns wachsen durch eine Erziehung, die Liebe, Fürsorge und gegenseitige Wertschätzung fördert.
Dr. Scherto Gill ist Senior Fellow am GHFP-Forschungsinstitut, Gast-Forschungsbeauftragte an der University of Sussex, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der University of Wales und Fellow der Royal Society of the Arts (FRSA). Durch ihre akademische Arbeit und Projekte an der Basis erforscht Dr. Gill aktiv Wege zur Umsetzung von Ideen. Dazu gehören vertiefter Dialog, Ethik der Fürsorge, ganzheitliches Wohlbefinden und Harmonie in sozialer Transformation und Frieden. Sie schreibt in den Bereichen Bildung, Ethik und Regierungsführung. Zu ihren jüngsten Büchern gehören: Happiness, Flourishing and the Good Life: A Transformative Vision of Human Well-Being (Routledge), Understanding Peace Holistically (Peter Lang), Beyond the Tyranny of Testing (Oxford University Press), Ethical Education: Towards an Ecology of Human Development (Cambridge University Press); and Being Peace and Making Peace (Spirit of Humanity Press).