Absolventinnen und Absolventen des KAICIID-Programms „Soziale Medien als Raum für Dialog“ (Social Media as a Space for Dialogue) haben als Reaktion auf die Zunahme von Hassrede im Netz während der COVID-19-Pandemie eine Reihe von Online-Kampagnen gestartet. Diese widmen sich der Bekämpfung von Diskriminierung, der Förderung nützlicher Gesundheitsmaßnahmen und der Bereitstellung dringend benötigter humanitärer Hilfe.
In den letzten Wochen haben sich Themen wie Falschinformationen, Diskriminierung und Gewalt aufgrund der aktuellen Gesundheitskrise verschärft.
Regierungs- und Gesundheitsbehörden haben meist rasch reagiert und begonnen, Informationen über die Pandemie in den Gemeinschaften auf der ganzen Welt zu verbreiten. Doch speziell junge Menschen fordern ihre Follower in sozialen Medien dazu auf, Ausgangssperren und Maßnahmen zur sozialen Distanzierung einzuhalten. Außerdem rufen sie über Crowdfunding Finanzierungskampagnen ins Leben, um humanitäre Bedürfnisse von gefährdeten Menschen erfüllen zu können.
Seit 2015 hat das Programm von KAICIID namens „Soziale Medien als Raum für Dialog“ mehr als 700 junge Führungspersönlichkeiten in der arabischen Region ausgebildet. Die erlernten Fähigkeiten dienen der Bekämpfung von Hassrede im Netz und Extremismus sowie dem Eintreten für Integration und Solidarität. Auf Betreiben von KAICIID haben die Absolventinnen und Absolventen des Programms soziale Medien genutzt, um das Bewusstsein für COVID-19 zu schärfen und Fakten-Checks als Mittel gegen Falschinformationen anzubieten. Sie unterstützen auch religiöse Führerinnen und Führer in deren Bemühungen, ihre Anhängerinnen und Anhänger zur Einhaltung der Gesundheitsrichtlinien der jeweiligen Regierung zu bewegen.
Schutz gefährdeter Gemeinschaften im Irak
Wie die meisten irakischen Jugendlichen wechselt Meron Akram Kacho regelmäßig zwischen seinem Smartphone und seinem Laptop. Anstatt jedoch Facebook ausschließlich zu nutzen, um mit seinen Freundinnen und Freunden Kontakt zu halten, sieht Kacho die sozialen Medien als eine Möglichkeit, Themen wie Diskriminierung und Gewalt online anzusprechen.
In den letzten Wochen reagierten er und seine Initiative „Hoffungsmacher“ (Sunaa Alamal) auf den Aufruf von KAICIID. Die gezielte Kampagne soll das Bewusstsein der Bevölkerung für COVID-19 schärfen. Die genannte Initiative setzt sich auch für gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsversorgung und sozialer Unterstützung ohne Diskriminierung ein.
„Während der Ausgangsbeschränkungen haben meine Freundinnen und Freunde und ich unsere Facebook- und Instagram- Konten genutzt, um die Kampagne #stayhome (khaleek billbeit) zu fördern. Unsere gemeinschaftlichen Bemühungen haben dazu beigetragen, sozialen Zusammenhalt zu schaffen, indem wir andere dazu aufriefen, den Schwachen und Ausgegrenzten in unseren Gemeinschaften zu helfen“, berichtet der junge Mann.
Da Kacho selbst Erfahrungen mit Gewalt gemacht hatte, begann er sich für das KAICIID-Programm „Soziale Medien als Raum für Dialog“ zu interessieren. KAICIIDs Engagement zur Förderung des Friedens in seiner Heimatregion beeindruckte ihn darüber hinaus. Im Jahr 2007 wurde Kachos Vater von Aufständischen entführt. Seine Familie war in der Folge gezwungen, ihre Besitztümer und all ihr Hab und Gut zu verkaufen, um das Lösegeld zu bezahlen. Als im Jahr 2014 IS-Kämpfer die Stadt Mossul einnahmen, musste die Familie ihre Heimat verlassen und fliehen.
„Wir haben niemandem Unrecht getan. Wir haben dieses Leid nicht verdient. Religion oder ethnische Zugehörigkeit sollten niemanden definieren“, erzählt er.
Heute motivieren ihn seine Erfahrungen mit Gewalt, die sozialen Medien als Instrument für einen positiven sozialen Wandel und als Weg zur Förderung von Frieden und Integration online zu nutzen. Während der Pandemie haben er und sein neunköpfiges Team lokale Künstlerinnen und Künstler eingeladen, um digitale Ausstellungen zu veranstalten sowie Masken für bedürftige Menschen genäht. Sie haben mit den Mitgliedern ihrer Gemeinden über Möglichkeiten gesprochen, wie man den Ramadan zu Hause verbringen kann. Weiters hat das Team religiöse Führerinnen und Führer verschiedener Glaubensrichtungen über die Bedeutung der sozialen Distanzierung informiert.
Da das Team einen integrativen Ansatz verfolgt, wurden alle Vorschläge und Bemühungen auf Arabisch, Assyrisch, Kurdisch und Turkmenisch übersetzt, um viele Menschen zu erreichen.
„Wir glauben, dass die soziale Trennung auch Produktives hervorbringen kann. Denn der soziale Zusammenhalt kann gestärkt und gefördert werden. Unsere Kernbotschaft bleibt einfach. Es ist nicht das Ende der Welt. Wir können das gemeinsam durchstehen“, ist Kacho überzeugt.
Kampf gegen Online-Diskriminierung in Jordanien
In Jordanien mobilisiert Amer abu Dalo seine digitale Gemeinschaft gegen Hassrede und Mobbing im Netz während der Pandemie COVID-19.
„Schikanierung und Mobbing von am Coronavirus Erkrankten sind in Jordanien weit verbreitet. Wir wenden uns über Facebook, Instagram, WhatsApp, Twitter und Livestreams sowie Fernsehinterviews an die Menschen, um dieses Verhalten zu bekämpfen“, erzählt er.
Abu Dalo ist Leiter des „Silah-Projekts“ im Rahmen der von KAICIID unterstützten Initiative „We Rise“ (Nahnu Nanhad). Diese setzt sich für die Stärkung des Dialogs und des Respekts durch soziale Medien ein. Abu Dalo hat im Jahr 2018 das Programm „Soziale Medien als Raum für Dialog“ erfolgreich absolviert. Doch er zeigte schon in jungen Jahren ein Gespür für Aktivismus. Seine ersten Aktivitäten in Richtung soziale Mobilisierung begannen im Alter von 12 Jahren. Heute hat er ein Team von 3.500 Freiwilligen und 250.000 Follower auf seinen Plattformen in den sozialen Medien.
Seine jüngste Kampagne wurde mit Unterstützung von KAICIID ins Leben gerufen. Sie bekämpft Falschinformationen während der Pandemie und sensibilisiert Menschen für die Bedeutung der Überprüfung von Fakten vor der Weiterverbreitung von Nachrichten. Die Kampagne ermutigt seine Gemeinde, ihre Informationen aus zuverlässigen Quellen zu beziehen. Abu Dalo meint, er habe sich auch darauf konzentriert, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die sich mit dem Virus infiziert haben, online nicht gemobbt werden.
„Wir haben rund 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer geschult, um Hassrede und Stereotypen in der Gesellschaft zu bekämpfen. Dazu gehört auch das Vorgehen gegen die Stigmatisierung von COVID-19-Erkrankten. Wir haben positive Botschaften unter Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit verbreitet, indem wir den Hashtag 'Wir sind alle Partnerinnen und Partner in Verantwortung' (#Kuluna shuraka fi almaswuwlia) verwendet haben“, erklärt Abu Dalo.
Soziale Medien als Unterstützung der humanitären Hilfe im Libanon
Im Libanon verbindet Mohamed Al Jundys Organisation „Entwicklung und Verbesserung“ (Tanmiya wa Tahseen) ihre Arbeit in den sozialen Medien mit humanitärem Hilfsdienst vor Ort. Dazu dient die Akkar Nothilfeeinheit (Ghurfat Tawari Akkar).
In der Region Akkar leben eine halbe Million Menschen verteilt über 200 Dörfer auf einer Fläche von 750 Quadratkilometern. Seit dem Ausbruch der Pandemie hat Al Jundy seine Bemühungen in den Online-Medien verstärkt, um Spenden zu generieren und die Bedürfnisse seiner Gemeinde zu erfüllen.
„Wir versuchen den Familien zu helfen, um die Ausgangsbeschränkungen so gut es geht zu überstehen. Wir wollen die Ausbreitung von COVID-19 in dieser sehr großen Region im Norden Libanons verhindern, die vom Fehlen öffentlicher Dienstleistungen und grassierender Arbeitslosigkeit geprägt ist“, berichtet Al Jundy.
In den letzten Wochen haben Mitglieder der Akkar Nothilfeeinheit Kirchen und Moscheen desinfiziert. Darüber hinaus wurde eine Finanzierungsaktion durch Online-Crowdfunding für Regierungskrankenhäuser gestartet. Laut Al Jundy gehörten zu den Freiwilligen lokale Politikerinnen und Politiker, Gewerkschaftsbosse sowie Journalistinnen und Journalisten und die breite Öffentlichkeit.
Laut Al Jundy hat das Projekt auch eine Kampagne mit dem Titel „Brot und Salz“ (Khubz wa Meleh) gestartet, die bedürftigen Familien zwei Laibe Brot pro Tag zur Verfügung stellt. Zusammen mit Dutzenden von Kirchen und Moscheen haben er und sein Team mehr als 74.900 Lebensmittelpakete an 37.452 bedürftige Familien in ganz Akkar verteilt.
Die meisten Hilfsinitiativen von Al Jundy sind bewusst interreligiös, „einschließlich aller Schichten der Gesellschaft“, erzählt er. Dies sei besonders wichtig in Akkar, wo aufgrund der gemeinsamen Grenze mit Homs und Tartus in Syrien eine Vielzahl von palästinensischen und syrischen Flüchtlingen leben.
Al Jundy nennt seine Ausbildung in dem Programm „Soziale Medien als Raum für Dialog“ als Beweggrund und Inspiration für seine humanitäre Online-Kampagne während COVID-19.
Er meint: „Dank der Ausbildung und des Engagements von KAICIID versuchen wir, eine Atmosphäre der Harmonie zu schaffen, die es uns ermöglicht, den Hass hinter uns zu lassen und uns in dieser schwierigen Zeit gegenseitig zu helfen.“