Mehr als 200 Menschen aus der Nachbarschaft versammelten sich im Juni 2017 im islamischen Kulturzentrum von Villanueva del Pardillo, einer Kleinstadt am Rande von Madrid, um das Ramadan-Fastenbrechen gemeinsam zu begehen. Für viele der Anwesenden war es das erste Mal, dass sie eine Moschee betraten.
Der Abend mit einem Rundgang durch das Zentrum, einer interreligiösen Podiumsdiskussion und einem Ramadan-Fest im Freien war Teil der Initiative "Offene Türen" des Foro Abraham, die darauf abzielt, die Beziehungen zwischen MuslimInnen und Nicht-MuslimInnen in und um Madrid zu stärken.
"Nichtmuslimische Nachbarinnen und Nachbarn wissen nicht wirklich, was in Moscheen geschieht. Was sie in den Nachrichten über den Islam lesen, hat oft einen negativen Beigeschmack, deshalb organisieren wir jedes Jahr um den Ramadan herum diese Veranstaltung und bitten eine örtliche Moschee, ihre Nachbarinnen und Nachbarn zu begrüßen und zu erklären, was sie feiern", erläutert Victoria Martin de la Torre, Mitbegründerin und Vorsitzende des Foro Abraham, die jährliche Veranstaltung. "Von da an kennen einander die Gemeinschaften, so dass die Menschen wissen, an wen sie sich wenden und wie sie in Kontakt bleiben können, falls es jemals zu einem Missverständnis kommen sollte."
Victoria hat 2009 Foro Abraham (das Abraham-Forum für interreligiösen und interkulturellen Dialog) mitbegründet, um Stereotypen zu bekämpfen und den kulturellen Austausch und das Wissen zwischen Menschen unterschiedlicher religiöser Überzeugungen in Spanien und darüber hinaus zu erweitern.
Die Idee für diese gemeinnützige Organisation entstand während einer Konferenz, an der Victoria 2008 teilnahm und die sich mit der Frage beschäftigte, ob Religionen mehr zum Frieden oder zu Konflikten in der Gesellschaft beitragen. Ihre Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmer waren sich einig, dass Religion den Frieden fördern kann und sollte, dass die Zivilgesellschaft jedoch helfen muss, Brücken zu bauen, wenn Spannungen auftreten.
"Ich konnte sehen, dass der muslimische Diskutant und der Priester sich gerne miteinander unterhielten. Dabei kamen so viele Missverständnisse zum Vorschein, so dass ich, als wir nach Madrid zurückkehrten, vorschlug, einen ständigen Raum des Dialogs zu schaffen, in dem wir voneinander lernen könnten", so Victoria. Ein einheimischer jüdischer Journalist schloss sich dem Team an und Foro Abraham war geboren.
"Unsere Arbeit geht wirklich von der Basis aus und ist nicht hierarchisch", erzählt Victoria. "Obwohl ich die Vorsitzende bin, agiere ich auch als Schriftführerin. Wir sind wie eine Familie und wir teilen uns die Arbeit auf. Wenn eine Person ein neues Projekt initiiert, bringen wir uns alle unterstützend ein."
In den zehn Jahren seines Bestehens hat das Foro Abraham Bildungs- und Kulturaktivitäten organisiert, darunter Universitätskonferenzen, Veranstaltungen der offenen Türen und Schulungen für Journalistinnen und Journalisten, die über religiöse Themen berichten. So konnten tausende Menschen in Madrid und ganz Spanien erreicht und angesprochen werden. Das Forum hat auch interreligiöse und interkulturelle Missverständnisse und Probleme bewusst thematisiert und dazu beigetragen, Spannungen abzubauen und die Zusammenarbeit und Koexistenz zu fördern.
Als eine Lokalzeitung fälschlicherweise berichtete, dass ein Dorf außerhalb Madrids christliche Symbole aus einem öffentlichen Gebäude entfernt habe, weil Musliminnen und Muslime beleidigt worden seien, kontaktierte Victoria den Journalisten, um zuverlässige Quellen zur Sachlage einzufordern. Sie schrieb auch einen Brief an lokale Regierungsbeamte und ermutigte sie, in ihren Aussagen Sensibilität walten zu lassen und sicherzustellen, dass die Berichterstattung über interreligiöse Themen auf professionelle und verantwortungsvolle Weise erfolgt.
"Diese Art von Reaktion hat eine stärkere Wirkung, wenn unsere interreligiöse Organisation spricht, als wenn sie von einer Organisation einer einzelnen Religion ausgeht", meint Victoria. "Ich bin katholisch, aber ich fühle mich dadurch genauso beleidigt wie mein muslimischer Freund. Wenn einer von uns ein Problem hat, dann haben wir alle ein Problem, weil wir alle in dieser Sache zusammenarbeiten".
Foro Abraham schickte einmal einen Brief an die spanische Fluggesellschaft Iberia, als die Mitglieder bemerkten, dass jedes Sandwich auf der Speisekarte des Bordmenüs Schweinefleisch enthielt. "Wir baten sie, zu bedenken, dass sich möglicherweise muslimische oder jüdische Passagierinnen und Passagiere an Bord befinden könnten. Sie antworteten nicht, aber sie änderten die Speisekarte", erzählt Victoria.
Foro Abraham ist nicht Victorias erste Initiative für interreligiösen Dialog. Nachdem sie an der Columbia University in New York Journalismus studiert hatte, gründete sie zusammen mit mehreren internationalen Studienkolleginnen und -kollegen einen interreligiösen Blog namens "Pashalam", eine Mischung aus dem Wort "Frieden" auf Arabisch, Latein und Hebräisch.
"Meine Sichtweise über Religion hat sich in New York völlig verändert, weil meine besten Freundinnen und Freunde aus der ganzen Welt kamen. Zwei waren jüdisch und zwei waren muslimisch. Ich entdeckte einen völlig anderen Aspekt der Religion und wie sie den Menschen Gutes bringt", erzählt Victoria.
Wie die meisten Spanier wuchs Victoria in einer säkularen römisch-katholischen Familie auf. Sie begann, ihren eigenen Glauben zu erforschen, als sie im Jahr 2000 nach Madrid zurückkehrte, um als Journalistin für ein wöchentliches Nachrichtenmagazin zu arbeiten.
Im Jahr 2006 verbrachte sie im Rahmen eines Auftrags je einen Tag bei einer jüdischen, christlichen und muslimischen Familie in Bethlehem. Diese Erfahrung nutzte sie, um ein Buch darüber zu schreiben, was die Heilige Stadt für jeden Glauben bedeutet. Victoria arbeitet weiterhin mit Journalistinnen und Journalisten als Pressereferentin der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament in Brüssel, wo sie seit 2008 lebt.
"Wir leben in einer Zeit der Zersplitterung und Isolation. Wir müssen Gemeinschaften aufbauen, damit die Menschen das Gefühl haben, dass sie für das Gemeinwohl zusammenarbeiten können. Das muss auf lokaler Ebene beginnen, nicht mit abstrakten, imaginären Online-Gemeinschaften, sondern mit dem Kennenlernen der Nachbarin und des Nachbarn", führt Victoria aus. "Das ist die eigentliche Herausforderung, nicht Veranstaltungen für aufgeschlossene Menschen zu organisieren, die bereits kommunizieren, sondern in geschlossene Gemeinschaften einzudringen und ihnen zu helfen, ihre Perspektiven zu ändern, ohne sie zu beurteilen."
Das Projekt „Offene Türen“ hat Nichtmusliminnen und Nichtmuslime in fünf Moscheen in der Umgebung von Madrid gebracht. Dadurch wurde der Ramadan entmystifiziert und ein größeres Gemeinschaftsgefühl unter den ehemaligen Fremden von nebenan geschaffen. Für Victoria und Foro Abraham ist die Öffnung dieser Türen erst der Anfang.