Katholische, jüdische und muslimische Jugend mobilisiert, um Holocaust-Gedenkstätte zu schützen

31 Mai 2019

 

 

Entlang der Wiener Ringstraße drängen sich junge Menschen unter Regenschirmen, während sie Tag und Nacht über die Porträts von Holocaust-Überlebenden wachen.

 

 

 

 

 


Eine Porträtausstellung von Überlebenden des Holocausts wurde zu einem gemeinsamen multireligiösen Schlachtruf gegen Antisemitismus. Die im Mai eröffnete Ausstellung „Gegen das Vergessen“ des italienischen Künstlers Luigi Toscano erstreckt sich über die Wiener Ringstraße, im gesamten Abschnitt zwischen Volksgarten und Hofburg. Die das historische Zentrum Wiens umgebende Ringstraße wird täglich von tausenden Einheimischen und Touristen besucht.

 

Seit der Eröffnung vor drei Wochen griffen Vandalen die Kunstinstallation des deutsch-italienischen Künstlers Luigi Toscano mit dem Titel „Lest we Forget“ (dt. „Auf dass wir niemals vergessen mögen“) dreimal an, wobei sie Hakenkreuze und rassistische Bemerkungen hinterließen und mit Messern klaffende Löcher in die Ausstellungsstücke schnitten. Mit 50 Porträtfotos, die alle über zwei Meter hoch sind, zeigt die Ausstellung die Gesichter und Geschichten derer, die die nationalsozialistische Verfolgung überlebt haben. Seit dem 7. Mai zieren diese Kunstwerke die Wiener Ringstraße.

 

 

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Die Porträts wurden mehrmals vandalisiert in der Nacht. Viele wurden durchgeschnitten oder mit Zigaretten verbrannt.

 

Von einer interreligiösen Zusammenarbeit zwischen den Jüdischen Österreichischen HochschülerInnen, der katholischen Jugend Österreichs, der Muslimischen Jugend Österreichs und der youngCaritas mobilisiert, bewachen Freiwillige rund um die Uhr die Ausstellung, um die porträtierten Gesichter der Überlebenden vor weiterem Vandalismus zu schützen. 

 

 

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„Als ich zuerst gehört hab' was passiert ist, und zum zweiten Mal passiert ist, dass die [Porträits] beschädigt wurden, da fehlten mir die Worte. So erschreckend ist das, dass mitten in der Stadt, und nach so vielen Jahren – und nach all den Gedenkjahren vor allem – es Leute gibt, die trotzdem meinen so etwas zerstören zu müssen oder gegen so etwas zu sein.“ sagte Fatima Ali, eine junge Muslimin, die unter den Ersten war, die die Bilder reparierten.

 

Nachdem Nachrichten über den Vandalismus bekannt wurden, wandte sich die Muslimische Jugend Österreich an die sozialen Medien und rief zu einer Nachtwache auf.

„Als wir die zerstörten Porträts der Holocaust-Überlebenden sahen, mussten wir etwas tun. Das wollten wir nicht noch einmal zulassen. Wir wollten eine starke Botschaft senden, dass uns dieser Hass als Österreicher nicht spalten kann“, erklärte Nesrin El-Isa, Mitglied der Muslimischen Jugend Österreichs.

 

 

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Ein Freiwilliger entzündet eine Kerze vor einem Porträt. Wetterfeste Kerzen wurde verlanget via Sozialemdien zum Schutz gegen ungewöhnlichen kalten Regen und Wind. Die Temperatur sank mehrmals unter 10 Grad.

 

Andere religiöse und zivilgesellschaftliche Organisationen schlossen sich bald dem Akt der interreligiösen Solidarität an, indem sie sich an ihre Mitglieder wandten und auf Facebook Aktionsgruppen gründeten. Die Caritas brachte Zelte und Jacken, während Mitarbeiter des nahe gelegenen Naturhistorischen Museums Kaffee und Tee zur Verfügung stellten. Andere kamen mit kostenloser Pizza und Worten der Ermutigung vorbei.

 

 

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Als die Sonne unterging, versammelten sich Freiwillige von christlichen, jüdischen und muslimischen religiösen Organisationen, und viele anderen, um die Porträts zu bewachen.

 

„Es besteht ein gutes Verhältnis zwischen unseren Organisationen“, so Fatima Ali von der Muslimischen Jugend Österreichs. „Wir riefen uns einfach gegenseitig an und plötzlich waren wir 50 Leute. Ich glaube, es ist egal, wem das passiert ist, wir wären so oder so zusammengekommen, weil zwischen uns Solidarität besteht.“

 

 

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„Ich hab gehört dass es passiert ist, und ich fand es einfach schrecklich. Ich wollte helfen, und ich bin einfach vorbeigekommen und habe diesen leeren Stuhl genommen “, sagte Nina, eine Studentin aus Wien. "Ich dachte, dass ich etwas machen musste."

 

Die Jugendlichen sitzen im strömenden Regen, im Schatten einiger Gedenkkerzen. Noch bis zum Ende der Ausstellung am 31. Mai werden sie abwechselnd und rund um die Uhr über die Porträts wachen. Einige brachten Nähkits mit, mit denen sie jedes Porträt mühsam wieder zusammennähten. Nun zieren gezackte Narben die Gesichter, in die ursprünglich die „Wunden“ geschnitten wurden.

„Es war ihr erster Impuls“, sagte Ariane Gollia, Vertreterin der Caritas. „Die Leute wollten reparieren, was an Schaden angerichtet wurde.“

 

 

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Nesterval, eine Wiener Theatertruppe, bietet Kerzen an Passanten.

 

Viele der Versammelten sagen, die Nachtwache sei ein Symbol dafür, wie interreligiöse Zusammenarbeit die Menschen zusammenbringen kann, wenn eine Krise versucht, sie auseinanderzureißen.

„Wir sind tief bewegt von dieser Geste unserer Freundinnen und Freunde von Muslimische Jugend Österreich“, schrieb der Verband der Jüdischen Österreichischen HochschülerInnen auf Facebook. „So entmutigend der gestrige Angriff auf die Portraits von Shoa-Überlebenden war, so hoffnungsvoll stimmt uns dieser Akt der interreligiösen, zivilgesellschaftlichen und menschlichen Solidarität.”

 

 

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Ein Iftar brachte hunderte Menschen die gemeinsam Wache standen zusammen. Dazu kamen christliche, jüdische und muslimische Gruppen, sowie Pfadfinder und Antifaschisten, die sich spontan nach einer Klimademonstration in unmittelbarer Nähe anschlossen.
 

„Diese Leute wollten zerstören“, fügt Ali hinzu. „Aber was sie wirklich getan haben, ist, dass sie viele Menschen zusammengebracht haben: jung und alt, verschiedene Organisationen, und unterschiedliche Glaubensrichtungen“, so Ali.