Talking Dialogue: Rudolf Ottos Religiöser Menschheitsbund (1921-1937)

05 Oktober 2014
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von Verena Kozmann

Nachdem ich meine Archivforschung zur interreligiösen und interkulturellen Organisation Religiöser Menschheitsbund (RMB) vorbereitet und mich dabei mehrere Monate auf die Gründungsjahre 1920-1922 konzentriert hatte, flog ich mit großer Vorfreude von Boston nach Frankfurt und schließlich nach Marburg,

um meine Arbeit in den Archiven der Universität Marburg beginnen zu können. Dank Prof. Dr. Karl Pinggera, Professor für Kirchengeschichte an der Philipps-Universität, lernte ich bei einer Ankunft in Marburg, einer architektonischen Perle in der Mitte Deutschlands, nicht nur die lebhafte Universität, sondern auch die historische Oberstadt kennen. Kurz nach meiner Ankunft wurde ich in der Universitätsbibliothek von der Bibliothekarin Carolina Dorndorf und ihrem Kollegen Dr. Bernd Reifenberg begrüßt, die mir den Weg durch die Archive wiesen und mir viele praktische Hilfestellungen für meine Forschungsarbeit gaben; sie stellten mir zum Beispiel geeignete Arbeitsplätze zur Verfügung und ermöglichten mir den Zugang zum Online-System der Universität. So wurde es Teil meines Tagesablaufs, durch die geschäftige Oberstadt zu gehen, um durch die unglaublich steilen und schmalen Gassen des ältesten Teils der Stadt zu meinen Schreibtisch im Institut für Religionswissenschaften zu gelangen, das im dritten Stockwerk eines historischen Gebäudes nahe des hochgelegenen Marburger Schlosses untergebracht ist. Als ich mich mit den Menschen und den Räumlichkeiten vor Ort vertraut gemacht hatte, begann ich meine Suche im Archiv von Rudolf Otto, das auch mein Forschungsobjekt, den RMB, beheimatete. Der kurz nach dem Ende und unter dem Schatten des ersten Weltkriegs gegründete RMB war eine interreligiöse und interkulturelle Organisation, die Vertreter der Weltreligionen, unter anderem des Christentums, Islams, Judentums, Buddhismus und Shintoismus, zusammenbrachte, um zu kooperieren und an Fragen der Moral zu arbeiten. Dahinter stand die Absicht, ein nationenübergreifendes Weltgewissen entstehen zu lassen. Dieses Konzept ist der später von Hans Küng entwickelten Idee des Weltethos sehr ähnlich. „Die Geschichte des RMB ist untrennbar mit Rudolf Otto verbunden.“ Dies hörte ich gleich zu Beginn meines ersten Gesprächs mit Prof. Dr. Martin Kraatz, dem Rudolf-Otto-Experten und früheren langjährigen Leiter des Instituts für Religionswissenschaften und der zugehörigen religionskundlichen Sammlung der Universität Marburg. Prof. Dr. Rudolf Otto (1869-1937) war ein deutscher Lutheraner, Reisender, Professor für systematische Theologie, Pionier im Bereich der Religionswissenschaft und Gründer des RMB und zudem Vorgänger von Martin Kraatz, und er wurde durch sein 1917 erstveröffentlichtes Werk „Die Idee des Heiligen“ auch einem internationalen Publikum bekannt. Rudolf Otto kann laut Kraatz und anderen Fachleuten, die sich mit Otto und dem RMB beschäftigen, als die wichtigste Figur in der Geschichte des RMB erachtet werden. Ich persönlich habe Belege für diese Ansicht gefunden, als ich mich in das Material einarbeitete und Informationen über die Geschichte des RMB sammelte. Eine Studie der Gründungsgeschichte des RMB in Marburg ist automatisch auch eine Studie von Rudolf Otto und des historischen und intellektuellen Kontextes seines Lebens und Schaffens. In mehreren Gesprächen im Institut für Religionswissenschaften, direkt gegenüber dem noch immer vorhandenen Schreibtisch von Rudolf Otto, war Martin Kraatz so freundlich, mich an seinem umfassenden Wissen über die Person und auch den Theologen und Religionsphilosophen Rudolf Otto teilhaben zu lassen. Kraatz arbeitete mehrere Jahrzehnte lang zusammen mit seiner Frau und Forschungspartnerin Margot Kraatz am Nachlass Rudolf Ottos. Dabei wurden große Teile von Ottos Korrespondenz zusammengetragen und transkribiert. Ich bin dankbar für die Bereitschaft von Professor Kraatz, sich mehrfach während meiner Arbeit in Marburg für mich Zeit zu nehmen, und auch für sein großzügiges Angebot, seine unveröffentlichte Transkriptionssammlung studieren zu dürfen. Das war definitiv ein großes Privileg und einer der Höhepunkte meines Projekts. Die bereichernden und anregenden Gespräche mit Martin Kraatz haben mir beim Verständnis des historischen Kontextes und der Umstände der Gründung des RMB sehr geholfen. Verena Kozmann ist eine österreichische Doktorandin der Universität Wien, die im Rahmen des KAICIID-Projekts „Talking Dialogue“ Archivstudien im hessischen Marburg durchgeführt hat. Im Rahmen ihrer Forschungsarbeit konzentrierte sich Frau Kozmann auf den Religiösen Menschheitsbund (RMB), eine glaubensübergreifende Organisation, die 1921 angesichts der Tragödie des ersten Weltkriegs gegründet wurde. Der RMB zeichnete sich durch sein Engagement aus, Vertreter der Weltreligionen zusammenzuführen, um gemeinsam ein Weltgewissen aufzubauen.